Bevor mein Urlaub morgen Vogelgrippe-bedingt vorzeitig beendet sein wird, hier ein kurzer Rückblick auf ein Wochenende in der allem Anschein nach H5N1-freien Zone, wo Laptop und Lederhose das Bild bestimmen: München. Sechseinhalb Stunden Fahrt brachten uns am Freitag in die Hauptstadt des Freistaates Bayern.
Erster Termin: Einchecken im Best Western an der Dachauer Straße. Es sollte sich herausstellen, dass das Best Western wohl doch besser den Namen Average Western oder so verdient hätte. Oder anders: Wenn unser Hotel sich schon die Bezeichnung “Best” gibt, dann wollen wir nicht wissen, wie es in den “durchschnittlichen” Western-Hotels aussieht. Nun gut, ich will das nicht überbewerten, dieser Aspekt ist sowieso ein Beitrag zur Rubrik “Jammern auf hohem Niveau”, soll aber nicht unerwähnt bleiben.
Zimmer 404 überraschte uns mit einer kleinen Küchenzeile hinter Schranktüren: Mikrowelle, Herd und Kühlschrank standen bereit. Sogar Geschirr gab es – und genau das hatte vor Jahr und Tag mal jemand benutzt und dann einfach wieder in den Schrank gestellt. In einer Kaffeetasse waren die restlichen Tropfen der braunen Brühe zu klebrig anmutenden Pickeln vergoren. So werden sie da schon mehrere Monate, wenn nicht gar Jahre, in der Tasse gelebt haben.
Es klingelte: Vor der Tür ein Klempner mit schwerem Werkzeugkoffer, blauem Overall und wirrem Rest-Haar. Er bedauere die Störung, aber es sei nun an der Zeit, die Wasserhähne am Waschbecken und in der Dusche zu kontrollieren. Das sei nötig, weil irgendetwas mit den Leitungen umgestellt worden sei. Deshalb blubbere nun ganz viel Dreck durch die Rohre, der sich in den Sieben am Wasserhahn sammelt. Während der ebenso leut- wie redselige Installateur seinem Tagwerk nachging, erklärte er uns den Arbeitsaufwand: 188 Zimmer müssten kontrolliert werden, an einem Tag, da müsse man notfalls auch leider mal Gäste stören. Nach gefühlten zehn Minuten zückte er die Liste mit Zimmernummern. Wir bedankten uns für die ausführlichen Erläuterungen, verzichteten aber auf weitere Details. “Für ihre Geduld spendiere ich Ihnen einen neuen Duschkopf”, sagte der Blaumann, nachdem er eigentlich schon alles ganz genau kontrolliert hatte, stieg noch einmal in die Dusche und schraubte gönnerhaft eine neue Brause an den Schlauch. Dann ging er.
Wir legten unser edelstes Tuch an, um wenig später durch den vergleichsweise milden Münchner Abend zu schreiten. Im Herkulessaal der Residenz war das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks angekündigt. Um 20:05 Uhr spielte es John Coriglianos “Fantasia on an Ostinato” für Orchester, das Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 B-Dur, op. 19 von Ludwig van Beethoven und schließlich von Robert Schumann die Symphonie Nr. 3 Es-Dur, op. 97 (“Rheinische”). Wir waren angekündigt für Reihe 16 Platz 2 und 4 (rechts die geraden Nummern, links die ungeraden, wir saßen also nebeneinander) und waren rechtzeitig da. Die Münchner Residenz ist recht wuchtig. Garderoben, die riesige Treppe zum Foyer und das Foyer selbst verbreiten einen Charme mit einer Mischung etwas aus den 30er Jahren hat überlebt und sich mit den 60ern gekreuzt. Die altrosa-grauen Wände, dazu marmorne Geländer, riesige Flügeltüren aus Holz wirken zusammen irgendwie kühl.
Der Saal an sich bietet eine bemerkenswerte Akustik, wir haben ein perfektes Orchester gehört. Das Publikum war begeistert. Das war auch im Radio zu hören. Das Konzert wurde live auf “Bayern4 Klassik” übertragen (womit auch die ungewöhnliche Uhrzeit des Konzertbeginns erklärt wäre).
Schon in der Pause zeichnete sich ab: München, das ist nicht nur die Stadt der weißblauen oder fliederfarbenen Straßenbahnen, der sauberen Fußgängerzonen, schmutzigen Kaffeetassen und zahllosen Kirchen. München ist vor allem auch die Stadt der Hüftleiden und anderer Beeinträchtigungen des Bewegungsapparates. Wir haben sie nicht gezählt, die Damen und Herren jeden Alters, die humpelnd, wankend und schwankend an uns vorbei schlichen, teils mit Krücken, teils auf andere Fußkranke gestützt. Sind das Spätfolgen der zahlreichen Skiausflüge in die nahe gelegenen Alpen? Liegt es am Trinkwasser oder am Bier? Zahlen die Münchner für ihren feudalen Lebensstil einen hohen Preis? Wir wissen es nicht und haben vorsichtshalber auch niemanden gefragt, aus Angst vor der brutalen Wahrheit.
Der Herkulessaal ist nicht gerade klein. Es passen viele Menschen hinein, was man auch daran erkennt, dass nach dem Konzert an den Garderoben ein bisschen Gedrängel herrschte. Hier kommt nun mein neues Handy ins Spiel, mit dem man auch ganz gut telefonieren kann, das aber auch eine Kamera beinhaltet. Deshalb ist es mir ebenso eine Ehre wie es mir ein Bedürfnis ist, meine Reiseschilderungen vermittels digitaler Fotografieren zu illustrieren. Hier nun also: :
Draußen war es eisig. Und dunkel:
Wir lustwandelten noch ein bisschen durch München, fanden schließlich nach einer für uns überraschend langen Suche von gut 45 Minuten ein Lokal, stießen aufs Konzert an und sausten mit der Tram zurück zur benutzten Kaffeetasse.
Der nächste Morgen begann mit einem fulminanten Frühstücksbüffet im Hotel und dem freundlichen Hinweis an der Rezeption, dass wir uns zwar über Küchenzeile gefreut hätten, die Kaffeetasse aber nicht so toll ankam. Man versprach sich darum zu kümmern. Guter Dinge fuhren wir zurück ins Zentrum: München ansehen.
Nach einem Abstecher in die Frauenkirche und nebenan zu St. Peter stiegen wir dort auch auf den Aussichtsturm. Nach 404 Stufen hatten wir einen beeindruckenden Blick auf schneebedeckte Gipfel am Horizont: Der Föhn machte es möglich. Zu unseren Füßen vor dem Neuen Rathaus marschierte inzwischen die Polizei auf. Dahinter ein Demonstrationszug mit vielen Plakaten: “Menschen, esst kein Fleisch” stand drauf. Vegetarier aller Länder hatten sich zum Aktionstag nach München verabredet und trugen nun Spruchbänder mit “Weg mit den Tierghetto-Wächtern” und “Nieder mit den Schlachthöfen” durch die Fußgängerzone.
Andere hielten Fotos von abgeschlagenen Schafsköpfen und blutenden Hasen in die Winterluft. Aus einem Lautsprecherwagen drang die Stimme eines professionellen Sprechers, der in seinem Berufsleben bestimmt auch schon für Fleischaktionen an der Real-Metzgertheke, Knacki-Grillwürste und Schweinesteak Toskana im Vorteilspack geworben hat. In diesem Fall trug er nun immer wieder und umrahmt von panischem Kuh-Gejaule und jämmerlichem Schafs-Gemähe vom Band Zahlen vor: 82,5 Millionen Deutschen stehen doppelt so vielen Nutztieren gegenüber. Da stimme doch was nicht. Außerdem sei Fleisch essen doof für die Tiere, teuer fürs Gesundheitssystem und umweltschädlich (wenn ich das jetzt mal in meinen Worten sinngemäß zusammenfassen darf). Sicherlich ist es richtig, gegen die Qualen der Massentierhaltung zu protestieren. Wenn aber Vegetarier derart auf den Putz hauen, wirkt das schon wieder unglaubwürdig. Unterm Strich bedeutete das wohl: Esst Gemüse und Obst. Aber das wäre als Botschaft auf den Transparenten wohl zu langweilig gewesen. Dabei gibt es echt spannende Früchte. Wir überzeugten uns davon, nachdem wir die Vegetarier und Veganer hinter uns ließen und lieber zu den Viktualien gingen.
Lebensmittel, nichts anderes meint die historische Bezeichnung, gibt es auf dem Marktplatz gleichen Namens in Formen und Farben aus allen Ecken der Welt. Das ist ein Wochenmarkt, auf dem man sich stundenlang aufhalten kann, stöbern, probieren, schauen und staunen. Unter dem Eindruck der Vegetarier-Proteste mieden wir die Wurst-Schinken-Aufschnitt-Buden und widmeten uns den Gemüse-Geschäften.
Farbenfrohes Obst leuchtete in der Februar-Sonne.
Drachenfrüchte aus Vietnam, Mangos, Ananas und Obst, das von seiner Form her daran erinnert, als sei es Zutat für ein Klingonisches Kriegsgericht, dazu Trüffel unter Glashauben, Käsespezialitäten aus zig Ländern, auch Spreewälder Gurken, Gewürze, Senf in kleinen Gläsern, Kräuter, eine unglaubliche Vielfalt also, herangeschafft aus Nord, Süd, Ost und West. Da wäre eine Frage an die Vegetarier angebracht gewesen, ob es nicht zumindest auch umweltschädlich ist, Obst und Gemüse zu essen. Zu spät. Wir ergötzten uns an den Farben und Formen:
Wir waren schon gut fünf Stunden durch München gestrolcht, hatten das Glockenspiel am Neuen Rathaus verfolgt, hatten die sechs verwinkelten Stockwerke einer Hugendubelfiliale erkundet, uns darin aus den Augen verloren und nach einer Viertelstunde wieder gefunden, hatten Fotos gemacht:
und spürten unsere müden Waden und Sohlen. Voll Sorge dachten wir an die vielen Fußkranken vom Vortag, doch bekamen wir rechtzeitig eine ebenso freundliche wie kompetente und aufopferungsvolle Betreuung. Mandys Malchower Connections sorgten dafür, dass uns Freunde den zweiten Teil des Tages zunächst ins Café Rottenhöfer brachten, wo wir hastig wohlschmeckende Himbeersahnetorte hinunterschlangen, um den Rest des Tages mit dem Auto eine private Rundfahrt geboten zu bekommen. Wir haben alles gesehen, es war allerdings so viel, dass wir uns gar nicht mehr an alles erinnern können. Bayerischer Landtag, Juweliergeschäfte mit Türsteher, Feldherrnhalle, Eisbach, Feinkost Käfer, Säulen, Palais und noch viel mehr, die Oktoberfestwiese und ein Mercedes-Autohaus, das die Wagen im Schaufenster stapelt.
Inzwischen war auch schon genug Zeit seit der Vegetarierdemo vergangen, so dass wir uns ruhigen Gewissens in die Augustiner Bierhalle setzen konnten, um dort halbe Enten, Tellerfleisch und Fleischpflanzerl, Kaiserschmarrn und Obatzter zu verdrücken und ganz viel Bier zu trinken.
In München ist es in vielen Küchen Sitte, bereits vor 22 Uhr die Herde auszuschalten. Dies hat ein unglaubliches Gedrängel in sämtlichen Lokalen in den ersten Abendstunden zur Folge, das für die hungrigen Gäste auf der Suche nach einem freien Tisch ein bisschen Stress bedeutet und für die Resis, die hier servieren, jede Menge Stress. Die Hütte war voll, es war laut und es war unglaublich gemütlich. Auch in München droht Fasching, schon bald wird es auf dem Viktualienmarkt traditionsgemäß hoch hergehen – und auch im Augustiner werfen große Ereignisse ihre Schatten voraus.
Na ja, wer sich über solche Fehler aufregt, sucht auch nach dem H in der Suppe. Ich füge dieses Bild hier auch nur in der Hoffnung an, dass mein eigener Text vollkommen fehlerfrei ist. Dieses Plakat sollte jedenfalls nicht die einzige schriftliche Besonderheit bleiben an diesem Wochenende.
Die Straßenbahn brachte uns nach einem äußerst gutgelaunten Abend zurück ins Hotel. Ein kontrollierender Blick in den Küchenschrank: Die Tasse hatte sich nicht verändert. Wir waren zu erschöpft, um noch ernsthaft darüber zu debattieren.
Der nächste Tag brachte nach dem Auschecken noch einmal die Möglichkeit, durch München zu fahren, oder besser: Streckenweise unter München hindurch zu fahren. Viele Hauptstraßen verlaufen immer wieder unter der Erde.
Auf dem Weg zum Chinesischen Turm im Englischen Garten, wo wir mit unseren Gästebetreuern verabredet waren, bot sich an einer Ampel noch die Gelegenheit für einen Blick aufs Bayerische Nationalmuseum.
Im Garten dann vor dem ausgedehnten Spaziergang mit gefühlt 1,3 Millionen anderen Münchnern zunächst Weißwurscht und süßer Senf, Brezn und wieder mal Obatzter. Auf Bratkartoffeln haben wir vor lauter Schreck verzichtet:
Hier nur noch der Hinweis auf die Internetseite www.deppenapostroph.de.
Kaum hatten wir unsere Eindrücke einigermaßen verarbeitet, waren wir schon auf dem Heimweg. Was für ein geniales, abwechslungsreiches Wochenende!
Was ist denn das für ein langer Beitrag?? Jedenfalls hätte es Dich doch schon bei der Zimmernummer stutzig machen sollen. Du als erfahrener und fortgeschrittener Internetnutzer kennst doch die Fehlermeldung ERROR 404 – Die Seite existiert nicht – Das dachte das Zimmermädchen auch von Deiner Suite… Aber schön jedenfalls, dass Du als ungschützter Journalist, der vorher im Katastrophengebiet auf Rügen warst, das Virus in den Sünden quer durchs Land spazieren gefahren hast!
Was als verheissungsvolle Spielberg-Adaption begann, endete mit der völlig offenen Frage: Was geschah mit dieser Hotel-Kaffeetasse ? Hast Du da in enger Zusammenarbeit mit dem BND unerbittlich nachgewaschen ? ;-)
Wurde des weiteren zwischenzeitlich mit Deinem bislang noch sehr raren H5N1-Virusexport der Taubenplage in der Münchener Innenstadt rund um das Radhaus nachhaltig ein Ende bereitet ?
Und schliesslich: Was ist das für ein geheimnisvolles, neues Natel/Handy, das sowohl bei Tag als auch stockdusterer Nacht formidable Bilder macht und obendrein als heisser Draht zum NDR fungiert ?
(Ein anonymer Leser)
Habt ihr Euch etwa echt im “Best Western” über DIE Kaffeetasse beschwert? Mann, ihr hattet DIE Kaffeetasse! Kein Wunder, dass sie euch Landeiern auch noch den traditionellen “…ihr habt mit der Verarsche angefangen”-Klempner auf die Bude schicken, sogar mit Zettel und Duschkopf!
Na, wie dem auch sei, hier im Rheinland geht heute endlich der Karneval los und somit ein zünftiges “Köhle Alaff´” an den Rest!