Gerade eben im Supermarkt

Weil ich ja heute und in den kommenden sieben Wochen dringend Ersatz für lieb gewonnene Genussmittel benötige, habe ich dem Gemischtwarenladen mit Selbstbedienung soeben einen Besuch abgestattet. Mir war bewusst und in Erinnerung, dass man drumherum merkwürdige Sachen erleben darf. Dass es aber drinnen ähnlich kurios und unterhaltsam zugehen kann, möchte ich versuchen, im Folgenden anhand von drei Beispielen zu belegen, die sich während meines gut halbstündigen Aufenthalts zwischen Gemüse-Auslage, Brot-Sortiment und Milch-Regal abspielten.

Beobachtung 1: Erst konsumieren, dann zahlen

In der Nähe des Käseregals. Während ich milde gestimmt meinen Blick über Gouda, körnigen Frischkäse und Esrom wandern ließ, nahm ich aus dem Augenwinkel wahr, wie eine junge Frau, gerade mit spitzem Mund schluckte und eine große Wasserflasche absetzte. Sie kam gerade aus dem Gang mit den Getränken geschlendert. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff: Das Wasserflaschensortiment als Selbstbedienungsbar, so hat die Gute wohl das Angebot im Sechserträger verstanden. Warum noch bis nach der Kasse warten, ich will’s ja kaufen. Eindrucksvoller kann man eine Kaufabsicht eigentlich nicht unterstreichen.

Während ich noch an einen Einzelfall glaubte, kamen mir keine zehn Sekunden später Mutter und Kind entgegen. Selbstbedienungsmentalität auch hier. Das Mädchen schleckte ein Eis, beherzt und ungeniert. Es ist zu hoffen und davon auszugehen, dass die Damen das Verzehrte am Ausgang auch tatsächlich bezahlen. Eine Beobachtung aus einer Zeit, als ich noch keine Möglichkeit hatte, meine Wahrnehmungen im Internet der Weltöffentlichkeit zu präsentieren, lässt diese Hoffnung aber schwinden.

Am Obststand waren frische Weintrauben (hell) eingetroffen, abgepackt in durchsichtigen Plastikboxen. 1, 59 die Box oder wie viel auch immer. Das ist fair gemeint, schließlich ist in allen Kistchen in etwa gleich viel Obst drin, da geht das mit dem Einheitspreis ohne Abwiegen schon in Ordnung. Soweit die Theorie: Man sollte an die unverfrorenen Kunden denken. Zeitgleich mit mir strebte eine junge Frau, Locken, Lederjacke, elegante Stoffhose, Stiefel, Typ erfolgreich im Beruf auf die Trauben zu. Sie war eher da, doch ich wollte gerne warten. Sie prüfte die Früchte, doch nicht nur durch Augenschein: Sie öffnete eine Box, rupfte eine Weintraube ab, dann noch eine und noch einmal fünf. Sie steckte sie sich in den Mund, kaute genüsslich, las derweil das Etikett, ließ ihren Blick über Tomaten, Bananen und Gurken schweifen und runzelte schließlich die Stirn. Offenbar stand ihr Urteil noch nicht fest. Sie knickte damenhaft einen Zweig mit Trauben vom großen Stil, schob sich gleich ein paar Früchtchen zwischen ihre rote Lippen, verschloss die Kiste wieder und – legte sich doch glatt eine andere Box in ihren Einkaufswagen.

Wer jetzt denkt, hah, Frauen beim Einkaufen, dem empfehle ich:

Beobachtung 2: Der Eiermann

Unmittelbar nach meiner Wasserflaschen-Eisschleck-Beobachtung hatte ich am Käseregal zu tun. Drei Meter rechts neben mir, am Eierstand passierte derweil ein kleines Malheur. Ein Mann, graue kurze Haare, abgestoßene Lederjacke, Aktentasche unterm Arm, verlor aus noch nicht geklärten Umständen die Kontrolle über einen Zehnerkarton mit Eiern aus Bodenhaltung in seiner Hand. Es ist ein seltsam leises Geräusch, wenn Eier auf Supermarktfliesen aufschlagen und zerbersten. Man erwartet ein lautes Krrkpfitsch oder so. Doch alles, was der Beamte und ich zu hören bekamen, war ein sachtes Zsmmmpf. Das allerdings zehn Mal. Die Sauerei, die durch diese harmlosen Geräusche entsteht, ist allerdings auch nicht zu verachten.

Es sind peinliche Sekunden, die nicht abzulaufen scheinen, wenn man in aller Öffentlichkeit gerade zehn Eier hat fallen lassen, besonders, wenn einem die Eier noch nicht mal gehören. Betont unbeteiligt stand der Verwaltungsmann nun inmitten eines Meers aus Eiweiß und zehn orangen Beulen auf dem Boden. Niemand wünscht sich, in derartige Situationen zu kommen, aber jeder hat sich wohl zumindest flüchtig einen Plan zurecht gelegt, wie man sich als Eier-Terminator verhält. Katzbuckelig zum Supermarktpersonal kriechen, um Entschuldigung winseln und bitten, die Sauerei wegzumachen wäre eine Variante.

Die Wasserflaschenfrau wäre wahrscheinlich zum Küchenpapier gelaufen und hätte erst einmal beherzt ein paar Packungen aufgerissen, um dann im Regal nebenan einen Viledafeudel aus der Schutzfolie zu wickeln, Bodenreiniger zwei Gänge weiter in einem Haushalts-Eimer aus der Aktionstheke mit Gerlosteiner Medium zu verrühren und dann schäumend die Eierreste zu beseitigen.

Die treue Beamtenseele gab indessen vor, im Regal zwischen den anderen Eierkisten etwas unglaublich interessantes entdeckt zu haben. Jedenfalls blinzelte er angestrengt ganz tief hinein ins Regal, so als hätte er Röntgenaugen und könne allein mit seinem Blick Eier cremig-weich-hart kochen. Schließlich griff er nach einem weiteren Karton – wir hielten beide den Atem an – legte die Box in den Einkaufswagen und machte ein Mister-Bean-Gesicht. Das geht so: Den Mund verzerrt man ein wenig, indem man erstens die Lippen spitzt, hinter dem geschlossenen Mund aber den Unterkiefer nach vorne schiebt. Dadurch reißt man automatisch auch die Augen auf, was einem einen bemüht unschuldigen, aber leider auch selten dämlichen Gesichtsausdruck verleiht. Wenn man dann noch heftig mit den Augen plinkert und die Augäpfel von einem Winkel in den anderen rollt, kann man sich trollen – allerdings in der Gewissheit, Mist gebaut zu haben und für dessen Folgen nicht geradezustehen. Genau das tat der Beamte. Während er die Lippen schürzte, stakste er mit großem Schritt aus dem Eiersee, blickte sich noch einmal entrüstet um zu seinem eigenen Werk, begab sich eilenden Schrittes zum Käseregal, warf einen gehetzten Blick auf Mozzarella und Feta um sich schließlich auf dem Hacken umzudrehen, seinen Einkaufswagen herumzureißen. Mit fast schon quietschenden Reifen bog er in die nächste Seitenstraße und verschwand zwischen Wein und Spirituosen. Er wollte bestimmt ganz schnell dem Marktleiter auf die kaputten Eier hinweisen.

Beobachtung 3: Was zum…?

Während der Eiermann die Flucht ergriff, lief am Schnapsregal ein Verkaufsgespräch. Es ging um Korn und wie viel man davon kaufen müsse. “Das weiß ich nicht, das müssen sie selbst entscheiden”, war die entwaffnend ehrliche Antwort des Markthelfers in seinem rotweiß gestreiften Hemdchen. “Ja, aber, was denn noch?” fragte seine Kundin. Es wird ihre Erscheinung gewesen sein, die ihn nachsichtig stimmte, vielleicht war es auch nur seine in zahllosen Wochenendseminaren antrainierte Professionalität, die Furcht um den Arbeitsplatz oder eine gehörige Portion Gleichgültigkeit.

Vor ihm stand Oma, aber nicht so eine, wie man sie sich gemeinhin vorstellt, zu der man hinläuft, ihr am Kittel zupft und fleht: “Bitte koch mir Pudding.” Es gab nicht mal einen Zipfel. Oma trug Schwarz: Hautenge Beinkleider, dazu ein Jäckchen mit Pelz an Kragen, Saum und Ärmeln. Unter einem mit Strass-Sternen besetzten Hut quoll volles blondes, lockiges Haar in großen Kringeln. Omas Füße steckten in … tja… also! Na ja, es gibt kein anderes Wort dafür: In, in … Nuttenstiefeln, jawohl! Solche mit 20 Zentimeter hohem klobigem Absatz, einer Oberfläche, die den Anschein erwecken soll, sie bestehe aus Samt und einem Schaft, der bis zum Knie reicht. Omas Gesicht war weiß geschminkt als sei sie unterwegs zum Gothic-Treffen.

Wenn einem so jemand begegnet, muss man aufpassen, dass man nicht gafft. Mit offenem Mund, den Kopf leicht schüttelnd, während man ohne hinzusehen, immer wieder nach dem Einkaufswagen greift, der aber langsam weiterrollt. Während man sich zwingt, nicht zu gaffen, hilft einem vielleicht der Gedanke, dass es für all das eine Erklärung gibt: Dass Oma stinkreich ist und das auch gerne zeigt, auch wenn es ein ungewöhnlicher Anblick ist. Oder: Dass es ihr einfach nur gefällt, so zu tun als ob. Vielleicht ist der Vanille-Pudding, den sie kocht, ja auch der leckerste der Welt.

Autor: Christian

Der Verfasser aller Beiträge auf kohlhof.de

3 Gedanken zu „Gerade eben im Supermarkt“

  1. Was lernen wir aus Deinen Ausführungen, Christian ? Du solltest mal wieder den weiten Weg zum anonymen REAL-Markt wagen, um nicht immer wieder im angestammten minimal der “alten Mann” (zweitens) aus der Mensa sowie der Ex-Königin von Volker (drittens) zu begegnen.

    Die Erfahrung, das Leute bereits im Markt einen Teil ihrer noch nicht bezahlten Produkte vernaschen, habe ich in letzter Zeit in Polen des öfteren machen müssen. Im dortigen Supermarkt “Carrefour”, einer französischen Kette, mit seinen geschätzt 50 Einkaufskassen ist es gang und gebe, einen Teil der Ware in den dennoch nie endenden Warteschlangen zu verzehren…

    Mir würde das wie Dir nie im Traum einfallen, schon alleine aus dem Grunde, das bei kleinen Einkaufsmengen immer mal wieder meine Kartenzahlung abgeschmettert wird (Mindestumsatz beachten) und ich mangels Bargeld die Ware zurücklassen muss. :-(

  2. Also, da wollen wir doch mal hoffen, dass die Wasserfrau aufs Klo musste, bevor sie zuhause war und dann in die Hose gepinkelt hat, das hat sie nun davon!, der Eiermann noch was vergessen hatte, zurückgehastet ist und dann genau in seiner Sauerrei ausrutschte, ih, wie eklig, sich den Arm gebrochen hat (ja, Herr Doktor, das kommt von meinen zerbrochenen Eiern) und die neue Packung nun im Kühlschrank über das Datum geht, weil er keine Rühreier mehr machen kann, mit einer Hand, die Traubenfrau von den vielen Pestiziden auf den Trauben einen Hustenanfall bekommen hat, schlimmstenfalls Dünnpfiff. Und wo waren die Kids, die die Mohrenkopfschachtel aufmachen, 2-3 verputzen, oh sind die dick(mann) – oder gibts das nur bei Tengelmann in Süddeutschland (habe ich erlebt!). Fazit: So ein Besuch im Supermarkt kann einem mal wieder so richtige Menschenkenntnis vermitteln. Da lobe ich mir doch Loriot: der bittet wenigstens den Verkäufer in der Bettenabteilung um etwas Gebäck und Tee, für nach dem Mittagsschlaf versteht sich …

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