Regen-Alarm nach Tschernobyl

Heute vor 20 Jahren explodierte ein Reaktorblock im Atomkraftwerk Tschernobyl. Es bestand die Gefahr, dass sich die Radioaktivität in weiten Teilen Europas ausbreitet. Das sorgte auch in Lübeck Ende April 1986 für Beunruhigung. An folgende Begebenheit erinnere ich mich:

Ein paar Tage nach dem Gau zogen Regenwolken aus dem Osten heran. Es begann zu schütten wie aus Eimern. Selbst wir Fünftklässler wussten, dass da irgendwas Seltsames und Gefährliches passiert war. Dementsprechend aufgeregt waren wir, als mitten im Unterricht das Klingelsignal ertönte, das nur in Ausnahmefällen benutzt wurde. An Einzelheiten erinnere ich mich nicht mehr. Es war das Zeichen, ins Hauptgebäude zu kommen. Wir liefen über den Innenhof, an den Pfützen vorbei. Ich hatte Pech. Vor mir lief eine Mitschülerin, deren Name hier nichts zur Sache tut. Sie wurde plötzlich langsamer, ich trat auf ihren Hacken, stolperte, strauchelte und fiel bäuchlings in eine Pfütze, aus der ich mich mit leicht panischem Gesichtsausdruck und pitschnass wieder aufrappelte. Besagte Mitschülerin drehte sich um und fragte doch tatsächlich: “Was machst Du denn da?!” Wäre ich damals schon so unglaublich cool gewesen wie heute, ich hätte ihr 937 Antworten nacheinander entegegengeschleudert. Zum Beispiel: “Ich bin scharf darauf, dass mir ein dritter Arm wächst, deswegen suhle ich mich hier in der Reaktor-Jauche. Komm herein, das Wasser ist herrlich. Vielleicht wächst Dir dann ein Buckel!” Nichts dergleichen. Ich gab den Kavalier, lächelte gütig und verlegen und war auch viel zu sehr damit beschäftigt, mit meinem Leben abzuschließen und pflichtschuldig meinen letzten Gang anzutreten: Zur Hausmeisterloge nämlich, vor der Direktor Bode schon auf einem Tisch stand und eine Messingglocke schwang. Mit dieser verschaffte er sich wild fuchtelnd nach geraumer Zeit Ruhe.

Wir standen weit hinten. Vor uns viele größere, ältere Katharineer. Um mich herum meine Klassenkameraden in respektvollem Abstand zu der Regenpfütze, die aus meiner Jacke rann. Ein zur Schule umgebautes, Jahrhunderte altes Klostergebäude hat eine miserable Akustik. Jedenfalls bekamen wir kaum etwas von dem mit, was Herr Bode vorne an Beruhigendem oder was auch immer zu sagen hatte. Nur eine Passage habe ich gehört: “Kommt nach Möglichkeit nicht mit dem Wasser in Berührung!”

P.S.: Ganz offensichtlich war der Regen nicht gefährlich… hoffe ich. Es gibt bislang auch keine Spätfolgen… hoffe ich.