Weniger ist mehr

So etwas hatte ich mir schon gedacht: Sie müssen diese Fragen stellen! Sie sind verpflichtet zu nerven und ihrer Kundschaft so richtig auf den Geist zu gehen. Es ist aber alles noch viel schlimmer.

Es geht um ein Schreibwarengeschäft mit schottisch anmutendem Namen, das mal zum großen Postkonzern gehörte. Denn auch dort wird man ja am Schalter mit seltsamen Fragen behelligt: Man hat gerade ein paar Briefmarken gekauft, dann stellt sich der Schalterbeamte aufrecht hin, streicht sich die verbliebenen Strähnen über seine glänzende Glatze, rückt seinen gelbschwarzen Schlips zurecht und fragt, während der Kunde noch die Postwertzeichen im Portemonnaie verstaut: “Kann ich sie noch für ein Girokonto interessieren?” Bitte was? Ja, die Post hat auch ne Bank, aber wer will denn ein Konto eröffnen, wenn er eigentlich nur Briefmarken für die Postkarte an Oma kauft? Mir tun diese Beamten dann oft ein bisschen Leid. Manche machen auch immer so ein verzweifeltes Gesicht, während sie unbeholfen ein Verkaufsgespräch beginnen wollen – so als wollten sie mir, während sie reden mit feuchten, großen, dunklen Augen sagen: “Bitte, helfen Sie mir hier raus, ich kann nicht mehr!” Oder: “Ich war so glücklich, als die Post noch die Bundespost war, aber dann setzte diese unselige Privatisierungswelle ein – und wir wurden zu branchenfremdem Service verdonnert.”

Ob schon mal auch nur ein einziger Kunde auf diese Finanzinvestitions-Geldanlagen-Reibachmach-Zukunftssicherungs-Offerte eingegangen ist? Was würde sich dieser Kunde wohl gedacht haben. “Klar, wer mir Sondermarken verkauft und Päckchen abwiegt, der muss auch Ahnung von Hedge-Fonds haben. Da kann ich nichts falsch machen. Ich unterschreib schon mal alle Formulare.” Was wäre aus diesem Kunden wohl geworden? Hätte der nach einer Woche noch Geld fürs Porto gehabt, um den Breif mit dem Antrag auf Privatinsolvenz abzuschicken?

Ich schweife ab. Es geht mir doch um Schreibwarenläden. Was habe ich dort nicht schon alles eingekauft. Und jedesmal fragt mich die diensthabende Dame in der blauen Bluse an der Kasse, ob ich nicht noch was vergessen habe? Ich lege eine Rolle Klebefilm auf den Tresen, sie fragt mich: “Noch einen Abroller dazu?” Ich lehne dankend ab.

Ich kaufe Geschenkpapier, sie fragt mich, ob ich Grußkarten benötigen würde, diese kleinen, zum dranbammeln. Ich verneine entschieden.

Ich komme mit Tintenpatronen zur Kasse, sie flötet: “Noch nen Tintenkiller dazu?” Ich lehne ab, aber das Wort “Killer” gefällt mir plötzlich sehr. Wenn Sie mir eine Schusswaffe angeboten hätte, dann hätte ich bestimmt Ja gesagt.

So geht das immer weiter. Notizblock. Stift zum Schreiben dazu? Nein! Klebestift. Brauchen Sie Etiketten? Wozu!?! Heftklammern. Klarsichthüllen? Nein, verdammt!

Einmal stand ich in einer langen Warteschlange vor der Kasse. Vorne ging es gerade darum, ob die junge Dame denn auch einen Stift haben wolle, um auf die Geburtstagskarte etwas draufschreiben zu können, was diese verneinte. Sie besitze bereits einen Stift.

Mein Blick fiel auf den Stapel mit Diddl-Maus-Schreibmappen, Diddl-Maus-Notizblöcken, Diddl-Knuddel-Plüsch-Gelumpe und Diddl-Kalendern. Was die Damen wohl sagen, wenn man soetwas erwerben will? “Noch nen Plasitk-Eimer dazu, in den sie sich gleich übergeben können?” Wohl nicht. Am besten sie würden sowieso nichts mehr fragen. Weniger ist mehr.

Heute war ich wieder da. Ich wollte einen Stapel hellgrüne Karteikarten bezahlen. Ich legte das Päckchen auf den Kassentresen. Es war nicht viel los im Laden. Und dann sagte sie es: “Noch nen Karteikasten dazu vielleicht.” Ich holte tief Luft und antwortete: “Sie müssen das sagen, oder? Irgenjemand zwingt sie doch dazu!?”

“Bitte?”

“Diese dauernden Fragen. Ob man nicht noch was anderes kaufen will, was man aber ganz bestimmt nicht kaufen will, weil man ja auch nicht ganz doof ist und in der Regel auch selbstbestimmt und voll geschäftsfähig.” Vor meinem inneren Auge tanzten Bilder aus diversen Kinofilmen mit Wahnsinnigen, die sich die weißen Haare rauften vor Verzweiflung. Alle sahen irgendwie aus wie Louis de Funès.

“Ach wissen sie”, sagte die Kassiererin und ließ die Schultern herabsacken. “Ich habe das schon mal nicht gefragt. Da habe ich dann ne Abmahnung bekommen. Das ist so gewollt.”

Der Louis de Funès vor meinem inneren Auge erstarrte in der Bewegung und machte laut und deutlich “Nein-Ooooo!!!” – Ich war ebenso entsetzt. Sofort kamen mir Manager in gläsernen Hochäusern in den Sinn, die mal was über Kunden-Service und Mitarbeiterführung gelesen hatten und daraus nun den ganzen Tag lang irre kichernd aberwitzige Regeln ableiten und sie auf Diddl-Notizblöcken notieren.

Ich bedauerte die Schreibwarentante aus tiefstem Herzen. Den Karteikasten habe ich natürlich trotzdem nicht gekauft – ich will diesem menschenverachtenden System ja auf keinen Fall in irgendeiner Form eine Bestätigung geben. Stattdessen trollte ich mich. Auf dem Nachhauseweg betete ich inständig, dass nicht ausgerechnet ich vor Jahr und Tag der Auslöser für die schriftliche Anmiste der Schreibwarenfachverkäuferin gewesen bin.

Damals brauchte ich nämlich auf einen Schlag 600 Fenster-Briefumschläge. Während ich die Päckchen zur Kasse trug, malte ich mir schon aus, was ich wohl jetzt wieder als Kaufvorschlag präsentiert bekommen würde. “Noch 600 Briefmarken vielleicht zum draufkleben?” – “Ein Adressbuch vielleicht? So viele Menschen kann doch einer allein gar nicht kennen.” – “Nen Brieföffner?” – “Papier zum Reinstecken?”

An der Kasse fragte man mich dann … nichts. Ich bezahlte und ging. Einfach so. Vielleicht machte sich in diesem Moment irgend ein Testeinkäufer des Konzerns, der das alles beobachtet hatte, hinter dem Diddl-Stapel schon heimlich Notizen mit einem Diddl-Stift oder wählte hektisch im Handy die Nummer der Personalabteilung um wenig später atemlos und heiser in den Hörer zu krächzen: “Sie – hat – nicht – gefragt. Ich wiederhole: Nicht! Ge! Fragt!” In der Zentrale werden sofort die roten Warnleuchten und Sirenen angesprungen sein: “Wir haben einen Code Red in Filliale 381!”

Der Abteilungsleiter wird zu seiner Sekretärin gesagt haben: “Rufen sie doch da mal an und sagen sie der Frau, dass sie bitte künftig immer noch ein weiteres Produkt anbietet.” Und was wird die eifrige Schreibtante gesagt haben? Wahrscheinlich das: “Gern! Darfs vielleicht noch ne schriftliche Abmahnung dazu sein zum Reinlegen in die Personalakte?”

Oh Mann.

Autor: Christian

Der Verfasser aller Beiträge auf kohlhof.de

4 Gedanken zu „Weniger ist mehr“

  1. Jetzt habe ich doch tatsächlich nochmals an den Anfang gescrollt und wollte die Bewertungssterne suchen, ja, sie sind nicht mehr da! Also Beitrag schreiben und dann die Frage: Wie bewerten Sie diesen Beitrag? Das kannst du jetzt aber auch ruhig lassen oder bist du so abgeschreckt von dem allem, lieber nicht noch Zusätzliches fragen ….
    Und was die Post anbelangt, die verstehen tatsächlich was vom Geschäft. Ich bin bei der Postbank und ich sage dir was: Die Postbank war die einzige Bank, die mich nach einem Bankwechsel nicht gefragt hat: Sind Sie selbstständig? Ach ja, nein, dann tut es uns leid … Also nichts gegen die Post, denn:
    “So nimmt die Deutsche Postbank AG heute einen doppelten Spitzenplatz ein: Sie ist mit 14,6 Millionen Kunden einer der großen Finanzdienstleister …”
    Und die Beamten, na ja, klar, Geschäft ist heute alles. Wo bitte schön ist das denn nicht mehr so? Gehst du zu Tchibo, fragen sie dich doch auch: Darfs auch ein Kaffee sein, wir haben gerade den oder den im Angebot. Na so eine blöde Frage bei Tchibo. Kaffee!!! Ich trinke gar keinen Kaffee.
    Fazit: Sei du mal froh, dass du zu den rasenden Reportern gehörst und die Leute nur fragen musst: Jetzt sagen Sie mir aber mal, wie war das noch??
    Na dann …

Kommentare sind geschlossen.