Schmidt in Shanghai*. Heute: Defekte Sitzmöbel, Hühner im Hof und chinesisches Leitungswasser.
Fünf Tage nach Ankunft in Suzhou schlafe ich tief und esse wenig. Die Hitze ist groß und meine Aufgabe unklar, noch. In einer Firma eine Stunde vom Apartment entfernt habe ich schon ein wenig Englisch und Deutsch unterrichtet, aber langfristige Pläne werden erst noch geschmiedet, so wie einige Instrumente im Ofen der Firma auch.
Als nun akkreditiertes Mitglied des Managements esse ich mit den Bossen an einem runden Tisch Tintenfisch, süße Bohnen oder Nudeln mit Reis. Jeden Tag fährt mich einer der zuvorkommenden, gut gelaunten Manager zur Firma. Ein klares Gefühl von „Angekommen sein“ gibt es noch nicht, alles fühlt sich an wie ein Nebel, der sich sehr langsam hebt, auch durch die vielen sprachlichen Unsicherheiten auf beiden Seiten. Dennoch; nach exzellentem Empfang gab es Tee und einen Schreibtisch für mich, an welchem ich sehr viel Leerlauf habe zwischen ganz unterschiedlich motivierten und vorgebildeten Schülern. Als ich mich nach einem recht anstrengendem Mittwoch kurz vor der Heimfahrt zurück lehnte, lag ich fast auf dem Boden, denn mein überaus vertrauenswürdig aussehender Stuhl hatte mich bitter betrogen. Nach diesem kurzen Schrecken – ich tauschte den Stuhl gegen einen festen – und der anstrengenden Reise hierher, denke ich nun nur an Eines: Am Wochenende will ich auf jeden Fall die eine oder andere Masseuse auf meinem Rücken herum trampeln lassen. Massage als Gipfel der Entspannung und Intimität für einen friedlichen Einzelkämpfer im wilden Osten.
Nach Sonntagsfrühstück mit Toast, überteuertem Kaffee und den Kopf voll Hoffnungen auf die spätere Massage schlurfe ich zum schwülen Balkon und starre müde in ein Gebüsch, was nach Jasmin, Lavendel, oder Intershop-Weichspüler riecht und von türkisen Schmetterlingen sowie merkwürdig roten Libellen wimmelt. Gegenüber spielt wieder einmal jemand wunderschön beruhigend Klavier. „Nice“, sagt plötzlich ganz nahe eine unsichere, weibliche Stimme. Ich suche und finde schräg über meinem Balkon einen hellen Kopf winken. Der Kopf gehört Baiba aus Finnland. Sie ist 19 und erzählt, dass sie dem Klavierspiel jeden Tag zuhört und Französisch in Naschi unterrichtet. Ich bin nicht sicher, ob es Naschi wirklich gibt und warum eine 19jährige Finnin dort für Französisch gebraucht würde, aber in China, wo der unschlagbar starke Jackie Chan in einem Zebra-Jackett Werbung für Hustentee macht, ist wohl alles möglich. Ich frage sie, ob sie das Huhn vom anderen Innenhof-Garten gesehen hat, (welches ich Phoebe nenne), aber Baiba meint in gutem Deutsch, dass sie Vegetarierin ist. Das ist natürlich eine gute Antwort.
Baiba meint, dass sie von dem Essen und dem Wasser hier viel … also viel nicht eingeplante Zeit im Bad verbringt. Ich berichte, dass ich kein Leitungswasser trinke und weniger Zeit im Bad verbringe, und ihre Antwort lautet in ihrem skandinavisch schönem Deutsch: „Ich beneide Ihren festen Stuhl!“. Ich möchte erzählen, dass ich auch einen nicht so festen habe, und zwar im Büro, aber das mache ich dann doch auf Englisch, genau wie die Antwort auf ihre Frage, was ich denn heute so gemacht hätte. Auf Deutsch hätte ich, mit Blick auf meine gesammelten Hemden, sagen wollen, ich hätte gerade ganz viel gebügelt, eigentlich alles was man bügeln kann, aber irgendwie klingt es auf Englisch weniger komisch.
Bis bestimmt bald, beispiellos beeindruckende Baiba!
* Willkommen in der Welt von Carsten Schmidt, Dr. Carsten Schmidt. Er ist Freund und Kommilitone aus Rostock. Carsten pflegt Wörter und Sprache – deshalb arbeitet er jetzt auch als Deutsch- und Englischlehrer in einer Fabrik in Shanghai, in der unter anderem Akkupunkturnadeln hergestellt werden. Der Umzug in eine andere Welt, wenigstens aber eine andere Kultur lässt viel Merkwürdiges und Bemerkenswertes erahnen. Darüber wird Carsten Schmidt, Dr. Carsten Schmidt, hier nun berichten.
Seine Kolumne mag die geneigte Leserschaft an den besonderen Schriftzeichen vor jeder Überschrift erkennen – sie sind angeblich eine sinngemäße Übertragung seines Vornamens ins Chinesische (vielleicht bedeuten sie aber auch “Igel, der im Kühlschrank Senf anpflanzt”, wer weiß das schon. Die noch zu sammelnde Spracherfahrung wird in den kommenden Monaten hoffentlich Aufklärung bringen).
Die Beiträge von Herrn Schmidt erscheinen auch nebenan, im Blog von miescha.de