Schmidt in Shanghai: Einfach nur kafkaesk
„Ouahh“ ist nicht die Antwort auf die Frage, wie man Orang-Utan in Nanjing sagt, sondern ein Gähn-Laut, den ich nach getaner Arbeitslosigkeit neulich Abend tat. Kurz zuvor sah ich noch die Sekretärin meines Chefs in der Gemeinschaftsküche erkältet am Teeglas haften und mir sagen hören: „Herr Schmidt, ich glaube, ihre Aufenthaltsgenehmigung macht gute Fortschritte. Morgen früh telefoniere ich ein wenig, und dann, glaube ich, kann ich Ihnen gute Nachrichten bringen“. Fein, also eine prima Voraussetzung um einzuschlafen. Gegähnt, getan.
Tiefer Schlaf umflimmerte mich und – Zack! – sah ich mich als Einzelkämpfer auf einer tropischen Insel zusammen mit Douglas Adams seltene Fledermäuse fotografieren, so gut man Fledermäuse eben beim Fliegen fotografieren kann. Er fragt mich wie ich finde zu Recht: „Was machst Du in meinem Traum?“ – „Na ich lese gerade ihr Buch, Herr Adams, also lassen sie mich doch ein wenig. Es ist ja nur ein Traum!“ – „Na gut, dann helfen sie wenigstens, eine Toilette für meine Foto-Assistentin zu finden, die muss schon seit Mauritius auf ´n Topf“, meint er, und so ich darf mit seiner britischen, rotgelockten Fotografin namens Heather zusammen auf einem afrikanischen Elefanten in den Sonnenuntergang reiten. Ich erzähle ihr unter dem harten Ruckeln auf dem weichen Rücken des grauen, sanften Tieres, dass die afrikanischen Elefanten verdammt schwer abzurichten seien und sie deshalb bei den alten Tarzan-Filmen indische Artgenossen mit angeklebten großen, eben afrikanischen Ohren, genommen hätten. Die Fotografin antwortet: „Das steht doch alles in Adams Buch“. Mist, denke ich. Wir wackeln weit aus dem Wald. Staubige Straßen, rostbraune Erde, riesige Savanne. Endlich ein Toilettenschild, wie es sich gehört mitten in der Savanne. Wir stehen kurz danach vor einer Bambushütte, die eine chinesische Fahne trägt, und ich gleite vom Elefanten herab. Die Assistentin eilt hinein und Douglas Adams raucht bedächtig. Er bietet mir drei Mal eine an, und ich denke, gut, es ist nur ein Traum, und rauche mit. Nach einer Weile sagt Douglas: „Geh mal nachsehen, ob sie heute noch fertig wird, wir müssen wieder zurück bevor es dunkel ist“. Abgemacht, meine ich, und poltere in die Bambushütte, aber da ist keine Toilette.
Ich sitze auf einmal auf einem Stuhl, mir gegenüber ein lachender Sessel-Pupser-Chinese mit dreckiger alter Uniform. Er hält etwas in seiner Hand, das wie mein Pass aussieht. Er raucht und bläst den dünnen, ekligen Qualm durch seine Zahnlücken in einen von zermatschten Fliegen klebenden Ventilator. Ich schaue links und rechts von mir, ob irgendwo Silvester Stallone als Rambo mich rettet, aber der Beamte sagt in fließendem Chinesisch: „Hahaha“. Und ich frage, was das heißt. Er lacht lange weiter, wischt sich mit dem Pass den Schweiß aus dem Nacken und sagt: „Sie können hier nicht bleiben, Herr Schmidt. Sie haben nicht genug zu bieten, damit sie uns überzeugen können. Haben sie den roten Umschlag mit?“ – „Nein, wie, was für einen Umschlag?“ – „Dann können wir mit unserer überaus demokratischen, freien, chinesischen Kollektiv-Einstellung nichts für sie kapitalistisches Individuum tun“. Es wird dunkel um uns. Das Wort „tun“ hämmert und echot in meinem Kopf herum, tun, tun, tun, tun, tun.
Ich wache mit Kopfschmerzen auf und schüttele mich vor lauter Schreck über diesen Unfug. Welch ein Nebel in meinem Kopf. Es ist schon hell, und 2 Aspirin später döse ich noch ein wenig den Elefanten und der britischen Fotografin hinterher, die sich so erfolgreich verpieselt hatte. Es klopft an der Tür. Die Sekretärin vom Boss steht da, zwar nicht in einem Bambushäuschen, aber auch sie hält meinen Pass in der Hand. Sie gibt ihn mir ganz langsam, mit gesenktem Kopf. In der anderen Hand hält sie 5 meiner vielen abgelieferten Passfotos, und ihre Worte klingen sehr schummerig in meinem Ohr: „Herr Schmidt, es tut mir leid, die Aufenthaltsgenehmigung für sie wurde abgelehnt. Sie müssen in ein paar Tagen nach Deutschland ausreisen. Von dort müssen sie neue Dokumente und ein neues Visum beantragen“. In einer ganz vorsichtigen, bedächtigen Geste gibt sie mir auch die Passbilder und ich schließe ebenso bedächtig und mit gesenktem Kopf die Tür, als hätten wir uns aus Traurigkeit beide voreinander verbeugt.
Ein vorläufiger, sanfter Rauswurf aus dem Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten.
Carsten Schmidt, Freund aus Rostocker Uni-Tagen, berichtet in dieser Rubrik über seine Erlebnisse in Shanghai, wo er nun als Deutsch- und Englischlehrer arbeitet. Die Texte erscheinen auch bei miescha.de.