Schmidt in Shanghai: Der vorerst letzte Versuch – und was man für 60 Euro alles mit sich machen lassen kann oder muss.
Ein paar Tage vor dem Rauswurf aus der Volksrepublik China versuche ich, zusammen mit der Sekretärin, in Shanghai noch einmal mein Glück bei den Behörden. Dort gibt es ein deutsches Konsulat, und wir werden vorstellig, erst einmal indem wir uns plump davor stellen. Im Mute der Verzweiflung warte ich bis zur Öffnung, denn meine Situation gebietet mir nicht viele Optionen im Moment. Demnach denke ich wie die Biathletin und Vorzeige-Anglistin Uschi Disl, die einst zur Presse sagte: „Now can come what wants“. Aber man weist uns am Tor rüde ab und meint, ein Konsul sei zu Besuch gekommen. Na gut, das ist normal in einem Konsulat, denken wir. Jedenfalls keine Audienz. Der Wärter fragt mich durch seine Zahnlücken: „You America?“ – „No!“ – „Good!“ – Verwirrend, kurz, postmodern, aber wahrheitsgemäß. Dabei erinnere ich mich Dank meines kindlichen Gemütes an die alten „Ghostbuster“-Filme und frage mich, ob die aus dem Wasser stapfende Freiheitsstatue „Miss Liberty“ von New York diese Frage des Wärters vielleicht bejaht hätte. Wir könnten später anrufen, meint er.
Gut, wir müssen also ein wenig die Zeit tot schlagen, ganz un-brutal. Das Konsulat ist direkt am berühmten „Bund“, der Flaniermeile in Shanghai, auf der Fuchs und Feuerstein angeboten wird, vor allem nutzloser, quietschender, dudelnder Müll in Neonfarben, wenn man ehrlich ist. Als Europäer ist man hier nicht allein, viele andere Ausländer leben hier und auch ihnen wird viel angeboten. Trotzdem die chinesische Sekretärin neben mir geht, stürzen sich dennoch alle Nase lang aufdringliche Halbschattengewächse mit ihren „Produkten“ an meine Brust. Folgender Dialog findet statt:
„Hey Mister“ – (gedacht: No!), gesagt: „No!“ – „Hey, Mister! Watch?“ – (gedacht: Mensch, hau ab!) gesagt: „No, I need no watch.“ – „Bag?“ – „I have a bag. No!“ – „Shoes?“ – “I have shoes. No!” – “Watch?” – (gedacht: Alter, verpiss Dich, ich weiß schon allein, wann ich ´ne Uhr kaufen will, dafür brauche ich doch Deinen Rat nicht!) gesagt: „Fucking nooo!“ – „Romantic Lady Massage? 60 Euros!“ – (gedacht: Wie bitte? Dat ging jetzt aber ´n bisschen flott, aber warte mal, mhh ….) gesagt: „Romantic, of course! Nooo!“ – Puh, er ist weg. Aber da kommt sein Schwager – „Hello Mister! Watch?“ – (gedacht: So, nun versuchen wir mal was ganz Billiges), gesagt: „Gegenfrage: Police?“ – Der Schwager ist weg. Mensch, geht doch. Die Sekretärin kann sich kaum halten vor Lachen. Das hat zwar kein Geld, aber ein paar Nerven gekostet.
Dann haben wir uns genug die Promenade am Fluss angeschaut, der dreckig dahin dümpelt, und außer Fotos von Hochhäusern oder Fotos von Leuten die Hochhäuser fotografieren, kann man dort zumindest nichts Sinnvolles machen. Da wir auch keine Lust auf Essen haben, vermeiden wir den gegrillten Mist am Spieß, der an rostigen Karren an jeder Kreuzung durch altes Soja-Fett seinen Weg in unsere Nasen findet, und versuchen einen Anruf bei der Botschaft vom Hotelzimmer aus.
Niemand nimmt ab, aber man verweist auf die Nummer der Botschaft in Berlin. Gut, denken wir. Bei meinem letzten Besuch dort konnte ich keinen der Mitarbeiter ernsthafte Fragen stellen, keiner sprach in irgendeiner Form annehmbares Englisch oder Deutsch. Gut, also lasse ich die Sekretärin anrufen, sie macht den Lautsprecher an, und ein alter, ruhiger Mann meldet sich auf Deutsch. Die Sekretärin fragt, ob er Chinesisch oder Englisch spreche. Der Mann, angeblich also der Leiter der Visastelle, antwortet in langem Berliner Dialekt: „Ne, ne, ne, Fräulein. Auf Wiederhören“. Das gibt es doch gar nicht. Die Botschaft hat uns doch nicht an den Hausmeister oder Koch vermittelt, oder? Die Sekretärin schaut verdutzt, ich auch, und ich brülle zur Überraschung der Sekretärin schnell quer durch das Hotelzimmer: „Moment, Moment mal!“ – Dann ein tatsächlich klares deutsches Gespräch. Klare Informationen. Auch leider klare Sache in meiner Angelegenheit: Keine Hoffnung hier, ich muss raus aus dem Land. Seine Frage am Schluss: „Also, sie sind kein Amerikaner? Auch nicht mit doppelter Staatsbürgerschaft?“ – „Nein, gar nicht!“ – „Gut!“.
Ich schaue später noch einmal zufällig auf die Bedingungen für chinesische Visa im Internet, und da finde ich eine interessante Klausel über die Kosten. Für manche Visa nach China gilt die lustige, überhaupt nicht nach chinesischer Willkür klingende Besonderheit: „Ausländer“: 30 Euro, „US-Bürger“: 90 Euro. Juhu, denke ich, kein Ami! Also 60 Euro gespart. Und, ob ich will oder nicht, plötzlich ist da wieder der Preis für die „Romantic Lady Massage“ in meinem Kopf, den ich schon beinahe wieder vergessen hatte. Naja!
Carsten Schmidt, Freund aus Rostocker Uni-Tagen, berichtet in dieser Rubrik über seine Erlebnisse in Shanghai, wo er nun als Deutsch- und Englischlehrer arbeitet. Die Texte erscheinen auch bei miescha.de.