ABS-Gefühl

Es war noch früher Morgen – und die Tauben, die eben noch aufgeplustert auf der Dachrinne saßen, flatterten empört auf, als sie mich hörten. Gerade radelte ich am Schröderplatz entlang, als man mich laut “Fuuuck!” rufen hörte. In jenem Moment merkte ich, dass ich jetzt wohl die Kontrolle über mein Zweirad verlieren würde, auf dem ich Richtung Studio rollte. Die Straßenverhältnisse am Doberaner Platz hatten den trügerischen Eindruck vermittelt, dass der kalte Novemberwind Regen und Schnee überall längst weggepustet hatte. Das stimmte aber nicht. Keine 200 Meter weiter fand ich mich vollkommen unerwartet und deswegen auch viel zu schnell auf einer geschlossenen Eisdecke wieder, wild schlingernd, den besagten Fluch ausstoßend und in atemraubenden Tempo nicht weiter nach vorn strebend, sondern vielmehr mich mitsamt Gefährt zur Seite neigend, während das Hinterrad ratternd und rutschend ausbrach.
In diesem Moment, als ich mich schon pitschnass und zerkrazt wieder nach Hause stapfen sah, um noch mal zu duschen und neue Klamotten anzuziehen, wunderte ich mich auch über meinen Gleichgewichtssinn. Denn das Erwartbare passierte nicht. Durch angemessene Gewichtsverlagerungen gelang es mir, mich und mein Zweirad abzufangen, ohne über den Lenker zu hüpfen oder über die Schulter seitlich in den Dreck zu rollen. Nein, ich hielt einfach an und stieg ab mit einem ungläubigen Blick auf die schwungvolle S-Kurve, die mein Hinterrad in die spiegelglatte Eisdecke gezogen hatte. Irgendwie kam ich mir plötzlich sehr elegant und cool vor – auch wenn der Anblick eines Radfahrers, der Fuck ruft und wie hilflos durch die Gegend schlingert, vielleicht zunächst einen anderen Eindruck vermittelt haben dürfte.
Egal. Während ich mein Rad über das nicht ganz so gefährliche Gras am Wegrand schob, lobte ich mich kurz für meine Reaktionsfähigkeit, nannte mich selbst in Gedanken “das lebende Anti-Blockier-System” und wusste: an diesem Tag kann mir nichts mehr passieren.
Derartige Gedanken sind doch eigentlich ein Garant dafür, dass dann erst recht alles schiefläuft. Aber nein. Es ist dann auch nichts Aufregendes mehr passiert.
Werde jetzt die Redaktion verlassen und mich nach Hause begeben. Mal sehen, was mich dort erwartet…

EDIT: Auch hier ist nichts passiert. Seltsam…

Autor: Christian

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