Gestern hat am Amtsgericht Güstrow der Prozess gegen eine Mitarbeiterin des Jugendamtes im Kreis begonnen. Die Berichterstattung über den erschütternden Fall war aber nicht ganz einfach.
Die Anklage wirft der Frau vor, die konkrete telefonische Warnung einer Ärztin über ein misshandeltes Mädchen aus Teterow nicht ordnungsgemäß an eine zuständige Kollegin weitergeleitet zu haben. Die Frau hatte die Notiz auf einem Zettel auf den Schreibtisch ihrer Kollegin gelegt, das Blatt verschwand, niemand ging noch einmal dem Hinweis nach.
Im Laufe des ersten Prozesstages wurde deutlich, dass es im Jugendamt des Kreises Güstrow offenbar keine klaren Regeln gab, wie mit einem Hinweis auf misshandelte Kinder überhaupt umzugehen sei.
Besonders erschütternd in diesem Zusammenhang ist vor allem, dass das Mädchen drei Jahre lang von der eigenen Mutter gefoltert worden war und diese Quälerei so lange ohne Konsequenzen für die Mutter blieb. Laut Staatsanwaltschaft hätte das Leiden des Mädchens erheblich verkürzt werden können, wenn die Jugendamtsmitarbeiterin richtig gehandelt hätte. Das ist nicht passiert – Lea-Marie musste immer wieder Kalkreiniger und Essigessenz trinken. Die Mutter hatte unter anderem immer wieder andere Ärzte und Kliniken besucht, um wenig Misstrauen zu erwecken. Die Mediziner hatten immer wieder erhebliche und teilweise auch lebensgefährliche Verletzungen und Verätzungen im Mund und in der Speiseröhre entdeckt. Außerdem auch Verbrühungen auf den Oberschenkeln des Kindes. Die Mutter hatte ihre Tochter mit heißem Wasser übergossen – unter anderem, um Geld von einer Versicherung zu kassieren.
Lea-Marie lebt inzwischen wohlbehütet bei einer Pflegefamilie, sagte ihr Anwalt am Rande des Prozesses. Das Mädchen wird lebenslang immer wieder an der Speiseröhre operiert werden müssen. Die Mutter des Kindes wurde vor einiger Zeit bereits zu neun Jahren Gefängnis verurteilt.
Der Prozess damals am Landgericht hatte großes öffentliches Interesse erregt. Das Gericht in Rostock ging damit gewohnt professionell um: Mit einer Anmeldeliste für Journalisten, reservierten Sitzplätzen für Reporter und Presseinformationen über die Termine im Prozess.
Im Amtsgericht in Güstrow hat man von professioneller Vorbereitung auf Verhandlungstermine von größerem Interesse keine Ahnung und lässt auch in keiner Weise erkennen, dass man dies jemals ändern will. Dabei gab es auch in Güstrow schon aufsehenerregende Verfahren.
Die Leitung des Hauses begnügte sich gestern trotzdem mit patzigen Antworten – Resultat: Weil es im Verhandlungssaal nicht genug Sitzplätze für Zuschauer und Prozessbeobachter gab, musste ich die ersten drei Stunden gemeinsam mit einigen Kollegen vor der Tür verbringen.
Um 9:30 Uhr war Prozessbeginn. Ich stand genau dann am Eingang des Saals und blickte auf drei voll besetzte Stuhlreihen. Hintergrund: In Güstrow sind auch immer wieder ganze Klassen der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege unter den Zuschauern. Das ist in Ordnung, aber für andere Zuschauer bleibt dann fast kein Platz mehr.Jedenfalls gab es mehr Besucher – Angehörige, Schüler, Reporter – als Sitzgelegenheiten.
Die Mitarbeiterin des Gerichts sagte jedenfalls, dass auf Anweisung der Richterin keine weiteren Stühle in den Saal gebracht werden sollen – obwohl noch Platz für mindestens zwei weitere Stuhlreihen gewesen wäre. In diesem Fall ging es um drei Stühle für den Deutschlandfunk, die Nachrichtenagentur ddp und den NDR-Hörfunk. Allesamt nicht gerade Medienhäsuer, die wenig Leser und Hörer erreichen.
Eine Etage höher, wo wir eine Minute später vorstellig wurden, saß die Direktorin des Amtsgerichts auf einem Schreibtisch im Vorzimmer und hatte wohl keine richtige Lust, sich mit dem Problem zu beschäftigen. Auf meine Frage, ob es möglich wäre, weitere Stühle in den Saal zu schaffen, bekam ich zur Antwort, dass ich das nächste Mal pünktlich kommen solle. Pünktlich? „Ja, um 9 Uhr“, war die Antwort. Wohlgemerkt: Zu einem Prozess der um 9:30 Uhr beginnen soll, empfiehlt die Chefin des Amtsgerichts, dass man „pünktlich“ eine halbe Stunde vorher erscheinen soll.Wenig später berichtet mir ein Kollege, der tatsächlich schon eine halbe Stunde zuvor da war, dass auch zu diesem Zeitpunkt schon nicht genug Plätze vorhanden waren.
Auf unsere Fragen, ob es denn künftig Akkreditierungslisten für Journalisten bei ähnlichen Prozessen geben wird, beschied uns die Leitung des Hauses sinngemäß, dass man das ganz gewiss nicht tun werde. Außerdem könne man aus feuerpolizeilichen Gründen keine weiteren Stühle in den großen Saal stellen – und überhaupt: Einige Reporter hätten doch Sitzplätze ergattert, damit sei die Öffentlichkeit des Prozesses gewährleistet.
Das mit den feuerpolizeilichen Gründen kann natürlich sein – wobei interessant sein könnte zu erfahren, ob die Zahl der Stühle, der Standort der Stühle oder was auch immer nun genau diese feuerpolizeilichen Gründe genau sind.
Das alles ist aber erst recht ein Argument, den Ablauf von Prozessen mit großem Zuschauerinteresse künftig auch im Güstrower Amtsgericht besser oder vielmehr überhaupt zu organisieren. Das Landgericht in Rostock könnte da sicherlich Tipps geben:
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Akkreditierungslisten für Journalisten
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dadurch ein Kontingent mit reservierten Sitzplätzen für Reporter schaffen
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oder wenigstens Hinweise in den Terminsankündigungen auf die begrenzte Platzzahl zu geben
Selbstverständlich hätte ich auch früher da sein können – ist ja klar. Und auch Leute, die nicht über den Prozess berichten, müssen Gelegenheit haben, die Verhandlung im Saal zu verfolgen. Allerdings kommt Reportern auch die Rolle zu, einer größeren Öffentlichkeit über das Verfahren zu berichten.Schließlich erwarten Justiz und Prozessbeteiligte auch, dass jeder wahrheitsgemäß und angemessen über den Verlauf berichtet – das ist kaum möglich, wenn man vor der Tür sitzt.
Das Amtsgericht in Güstrow hat allerdings in keiner Weise erkennen lassen, dass man das für ein Problem hält und man sich damit ernsthaft beschäftigen will. Ein altkluges Abbügeln „Das geht nicht“ ist jedenfalls unter aller Kanone.
Der Prozess gegen die Jugendamtsmitarbeiterin hat zwei weitere Verhandlungstermine: Rechtzeitiges Erscheinen könnte dazu führen, dass man noch einen Sitzplatz im Saal bekommt…
Mich graust es! Mutter? Welche Mutter?
In Güstrow ist man gerne unter sich, das musst du einfach verstehen! Solche Vorkommnisse müssen rigoros öffentlich gemacht werden. Nur dann können die Ausgangsfälle als auch das anschließende Verfahren verhindert werden. Einfach nur peinlich!
Sag bloß, derartige Vorfälle gibt es da öfter? Davon abgesehen, gab es ja einen Tag später schon ein ähnliches Erlebnis, als Polizisten, die zum Schutz einer Verhandlung eingesetzt waren, Zuschauer daran hinderten, in den Saal zu gelangen, weil der Prozess schon begonnen habe und unter anderem die Dielen so knarren würden, wenn da jemand rein oder raus geht …
Die Hauptverhandlung muss nun neu angesetzt werden.
Auch seltsam.