Heute: Musik in der Nachbarschaft.
Es ist noch gar nicht lange her, da wackelte in Rostock die Wand. Und der Fußboden bebte. Und die Stifte, die auf meinem Schreibtisch lagen, zitterten im Takt der Beats, die der Party in der WG unter meiner Wohnung ordentlich einheizten. Es war mittlerweile kurz nach 4 Uhr in der Nacht und ich saß gerädert am Computer. Die Einweihungsparty meiner neuen Nachbarn zog sich hin, die Stimmung war ausgelassen – und die Musik ohrenbetäubend laut. In dieser Nacht erfuhr ein ganzer Stadtteil, welche Energie zusammenkommt, wenn angehende Akademiker die entbehrungsreichen Mühen des fordernden Studentendaseins für ein paar Stunden, also etwa elf, vergessen wollen.
Jeder halbwegs vernünftige Mensch wird mir zustimmen, dass man nur verbal in ein Wespennest stechen würde, wenn man versucht, eine derart aufgeheizte Menge zu forrtgeschrittener Stunde um Ruhe zu bitten. Außerdem fand ich das Getöse und die Wucht, die ein druckvoller Bass-Laustprecher heutzutage entwickeln kann, um durch Hauswände und Decken hindurch Gegenstände hüpfen zu lassen, auch in gewisser Weise faszinierend. Wenn ich am nächsten Tag Frühdienst gehabt hätte, wäre ich aber wohl nicht so duldsam gewesen.
Jedenfalls dachte ich aber auch, dass es nicht schlimmer kommen kann. Bis jetzt. Heute hatte ich Frühdienst und suche in meiner Kemenate Ruhe und Erholung vom aufreibenden Alltag in einem Landesfunkhaus. Doch angenehme Leichtigkeit will sich nicht einstellen, weil irgendwo nebenan, ein paar Häsuer weiter seit gefühlt drei Stunden irgendein Wahnsinniger auf einem Klavier oder Keyboard oder was auch immer für einem Folterinstrument nahezu pausenlos immer wieder dieselben Tonfolgen repetiert.
Es klingt wie Fingerübungen – allein für die Ohren des Musikers oder der Musikerin gedacht. Aber es ist lau in Schwerin und deshalb klimpern die Etüden nun so von Haus zu Haus durch offene Fenster – und selbst durch geschlossene sind sie noch zu hören, wenn man durch stundenlanges Wiederholen nur ganz genau darauf getrimmt wurde, auf welche akustischen Abscheulichkeiten man beim besten Willen nicht achten will. Dimm, damm-damm-damm, dimm-dimm damm. Kling klang klong-klong – klong klingderlingdamm-damm. Manchmal auch -ding-ding-klong am Ende. Es ist einfach nicht schön – leise zwar, hintergründig, aber leider auch einfach durchdringend eintönig. Es sind eben auch mal leise Töne, die einen an den Rand des Wahnsinns treiben können.
Aber eine letzte Hoffnung gibt es noch. Nach der epochalen Feier in Rostock im Stockwerk unter mir standen zwei Drittel der Wohngemeinschaft wenig später mit selbstgebackenem Kuchen vor der Tür um folgende Botschaften zu überbringen:
a) das alles, also der Lärm und so (und auch die Sauerei im Treppenhaus), das alles wecke Scham und Bedauern.
b) ich dürfe mir nun zwei Kuchenstücke nehmen und solle bitte nicht böse sein. (Böse war ich gar nicht, schließlich habe ich ja auch selbst mal Gäste. Oder höre laut Musik. Nun ja.)
c) Außerdem habe man beschlossen, dem nicht anwesenden dritten Drittel der Wohngemeinschaft die Chance zu geben, sich wohnungstechnisch weiter zu verbessern und seiner Suche nach einer neuen Adresse keinesfalls im Wege stehen zu wollen. Schließlich sei ein großer Teil des akustischen Unheils mit der Urheberschaft dieses vermeintlichen Tunichtguts direkt verknüpft.
Ich war endgültig besänftigt. Gemessen daran erwarte ich vom Schweriner Pianomann irgendwo nebenan nun vergleichbare, aber angemessene Reaktionen:
a) Aufrichtiges Bedauern und Schämen in Form eines Gutscheins für zwei Personen für ein üppiges Menü in einem angesehenen Restaurant der Stadt, in dem die Tische mit weißem Tuch bedeckt, die Bestecke blank gewienert, die Karte wohlsortiert sind und wo das Personal in Küche und im Kundenkontakt nicht erst von einem dieser TV-Restaurant-Ersthelfer aufwändig gecoacht werden müssen.
b) Die eidesstattliche, schriftliche Versicherung, dass man noch in dieser Woche sämtliche im eigenen Haushalt vorhandenen Tasteninstrumente fachmännisch mit einer Axt zerlegt, das Holz verbrennt, das Metall dem Recyclingkreislauf zuführt und aus den Tasten Manschetten- und Hemdenknöpfe fertigt.
c) Ein schriftliches, eigenhändig unterschriebenes Versprechen, ans andere Ende der Stadt zu ziehen, sofern a) und b) nicht erfüllt werden können.
Alles Weitere können wir dann ja per Mail besprechen. Oder um hier mal einen Begriff aus einer meiner Lieblings-Comicserien von damals (Clever&Smart) zu zitieren: “Grmblfjx!”
Angesichts des Lärms und der noch ausstehenden Entschädigung gerät im hier ausgetragenen, vollkommen subjektiven Städte-Vergleich Schwerin gegenüber Rostock ins Hintertreffen:
Rostock : Schwerin – 2:1