Über dem Paulsdamm zogen gerade dunkelgraue Wolken zusammen, als ich fröhlich pfeifend in den Feierabend fuhr. Und da durchzuckte mich – passend zur Bewölkung – ein Gedankenblitz, dessen Einschlag im entscheidenden Teil meines stets wachen Gehirns eine Kettenreaktion auslöste, die ich so lange nicht erlebt habe.
Was würde bloß passieren, überlegte ich, wenn nun ein Blitz mein Auto erfassen würde und dann durch einen dummen Zufall und eine Verkettung von an und für sich ganz unvorstellbaren Ereignissen ich mitsamt meines Gefährts in der Zeit zurückgeschleudert werden würde, ohne im Jetzt auch nur den Hauch einer Spur zu hinterlassen. In etwa so wie in den „Zurück-in-die-Zukunft“-Filmen auf einem blauen Lichtstrahl und einer Flammenspur ins Ungewisse reitend.
Abgesehen davon, dass ich mit einem Mittelklassewagen im Mittelalter, Mesozoikum oder in der Ming-Dynastie sicherlich für Aufsehen sorgen würde, schoss mir die Frage ein, wie ich dann wohl in der Vergangenheit meinen Lieben im Jahr 2009 eine Nachricht hinterlassen würde, um sie zu beruhigen. Und diese Botschaft müsste ja auch noch etliche Jahre überdauern können und auffindbar sein.
Ich dachte über eine Nachricht nach, die in eine historische Urkunde zu schmuggeln wäre, die meine Freundin dann im Verlauf ihres Studiums liest, um dann festzustellen, dass ich zwar weit weg, aber dennoch in der Lage war, Botschaften für eine ferne Zukunft zu hinterlassen. „Bin jetzt Herold am Hofe Johanns des Gerechten, es geht mir gut. Sobald Dieselkraftstoff erfunden wird und es ein Gewitter gibt, werde ich die Rückkehr wagen.“
Oder eine Höhlenmalerei: ein ungelenk in den Fels gekratzter Kombi mit Warnblinkanlage, daneben ein Männchen, das durch regelmäßiges Betätigen der Hupe die misstrauisch umher-krauchelnden Steinzeitmenschen und ihre Speerspitzen auf Distanz hält.
Während die ersten Regentropfen auf der Motorhaube aufschlugen, kam ich zu dem Schluss, dass es vielleicht besser wäre, mich aus der Vergangenheit direkt an meine Eltern zu wenden – der zentralen Anlaufstelle für familiäre Angelegenheiten.
Zum Beispiel, indem ich unter irgendeinem wahnsinnigen Vorwand meine Vorfahren aufsuchen würde,um unauffällig ins Familienarchiv ein Kassiber hineinzulavieren, das dann von Generation zu Generation weitergegeben wird, ohne dass im Laufe der Jahrzehnte Zweifel an dessen Nutzen aufkommen – bis dann endlich Mutter und Vater nichtsahnend einfach mal wieder im Kasten mit den vielen Schwarzweißfotos wühlen und endlich im Gruppenfoto von anno dazumal den Typen im Hintergrund entdecken, der hochhüpfend ein Plakat schwenkt auf dem steht: „Ihr würdet’s sowieso nicht glauben – wenn ich wieder da bin, habe ich viel zu erzählen.“
Und dann kam mir die rettende Idee: Ich müsste mir einfach selbst eine Nachricht hinterlassen: „Christian, fahr am 28. August 2009 am besten nicht über den Paulsdamm. Und wenn’s doch sein muss, dann auf jeden Fall, bevor das Abendgewitter losbricht.“ Bleibt die Frage zu klären, ob ich mich damit dann nicht selbst in ein Logikwölkchen auflösen würde – in der Vergangenheit – oder im Jetzt, weil ich ja mich selbst verhindern würde in der einen oder anderen Epoche. Oder wie auch immer.
Eine Antwort darauf ist mir bislang nicht bekannt. Ich habe in meinen Unterlagen, Fotoalben und ähnlichem bisher auch keine Nachricht von mir an mich selbst gefunden, woraus hervorgeht, dass mir eine Zeitreise mit ungewissem Ausgang bevorsteht.
Insofern kam ich zu dem Schluss, während ich im Rückspiegel einen Blitz über dem Paulsdamm zucken sah, dass dieser Gedankengang nur das Produkt meiner in einer aufregenden Arbeitswoche aufgewirbelten Fantasie sein konnte. Obwohl: Vielleicht wirbelt es mich ja irgendwann auch in die Zukunft und es wird mir von dort aus möglich sein, meine eigenen Gedanken in der Vergangenheit zu beeinflussen…hüstel… ich werde auf jeden Fall in den nächsten Tagen und Wochen den Paulsdamm nur noch bei schönem Wetter befahren.
Der Paulsdamm als Zeittor? Vielleicht sollte ich mal mit dem Fahrrad da langfahren. Wer weiß, vielleicht geht das da ja auch eher so wie bei “Kate und Leopold”, allerdings ohne gewagten Sprung in die Tiefe. Auf jeden Fall finde ich Deine Überlegungen sehr interessant. Danke :-)
Diesem Artikel nach zu urteilen könntest Du tatsächlich von einem Blitz getroffen worden sein und hast es noch nicht bemerkt