Wer wird da widersprechen? Das Obst des Jahres 2011 ist – meiner unmaßgeblichen Meinung nach – eindeutig: Der Weinberg-Pfirsich! Ein unscheinbares Stück Frucht, das auf den ersten Blick den Eindruck erweckt, irgendjemand habe vergessen, es aufzupumpen. Nicht rund wie seine standardisierten Kollegen, sondern flach gedrückt wie in einer Schraubzwinge, handflächengroß und etwa so hoch wie eine Frikadelle – allerdings mit viel ansprechenderem samtig-rotem, gelb-sanftem Äußeren und zartem, weißgelbem Fruchtfleisch. Dabei so saftig und süß, wie man das ja heute eigentlich gar nicht mehr erwartet. Ein Sommer-Highlight.
Eine rasche Suche im Netz nach eben jenen Pfirsich-Vertretern führt zunächst und erstaunlicherweise: ins Leere. Onkel Google weiß nichts von Weinberg-Pfirsichen. Aber im Wikipedia-Eintrag findet sich immerhin ein Foto von Plattpfirsichen.
Warum gibt es keine Treffer? Vielleicht, weil die wohlschmeckenden Pfirsiche das Produkt irgendwelcher Obstmultis sind, die die Früchte im großen Stil und möglichst billig unter unobstlichen Bedingungen reifen lassen? Man sollte sich vielleicht lieber keiner Illusion hingeben und davon ausgehen, dass das flache Steinobst irgendwo auf Industrieplantagen erst gezüchtet und dann von riesigen Roboterarmen zusammengestaucht wird. Danach wird es dann verladen und in Pfirsich-Massen-Transporten von Spanien durch ganz Europa kutschiert. Irgendwelche Supermarktketten drücken dann die Preise, Pfirsich-Magnaten reiben sich die Hände – und während sie feist grinsend ihr Geld zählen, das sie mit wehrlosen flachen Pfirsichen verdient haben, zeigt ihre dicke qualmende Zigarre steil nach oben…
Ja, so ist das möglicherweise. Man liest ja so viel – und vielleicht ja auch ab morgen auf dem Verbraucherportal lebensmittelklarheit.de. Hier wollen die Verbraucherzentralen Lebensmittel-Mogelpackungen öffentlich anprangern. Stichwort: Welcher Käse ist gar kein Käse, welcher Erdbeerjoghurt enthält nicht mal einen Hauch Erdbeere? Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz fördert das Projekt.
Mittwoch um 11 Uhr soll das Projekt vorgestellt werden und dann auch online gehen. Noch heißt es auf der Internetseite:
Verbraucher können Produkte melden, durch deren Aufmachung oder Kennzeichnung sie sich getäuscht oder in die Irre geführt fühlen. Die Verbraucherzentrale leitet einen Dialog mit dem Hersteller oder Händler ein: Dieser kann dann zu den Vorwürfen Stellung beziehen.
Eine Redaktion will jeden sachdienlichen Hinweis vor Veröffentlichung prüfen.
Trotzdem: Da kochen die Emotionen natürlich hoch. Die Online-Ausgabe der Zeitschrift “Werben&Verkaufen” zitiert den Geschäftsführer der Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM) mit den Worten: “Der Ansatz der Verbraucherzentrale scheint zu sein, dass die gesetzlichen Regelungen falsch sind, weil der Verbraucher das anders empfindet, als es die Unternehmen deklarieren. Das ist nicht in Ordnung.” Schließlich hielten sich Unternehmen bei der Verwendung von Zutaten und Gestaltung von Produkten an Recht und Gesetz heißt es im Text. Und wenn sich dann noch Verbraucher getäuscht fühlten, könne man dafür doch nicht die Unternehmen verantwortlich machen. Außerdem: Schließlich hätten doch viele Unternehmen eine eigene Kundenhotline – und auch der Deutsche Werberat habe schließlich eine Stelle, die Beschwerden über vermeintlich irreführende Werbung bearbeitet. Im selben Artikel sagt Matthias Horst vom Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL): “Niemand darf einen Nachteil erleiden, der sich an geltendes Recht und damit an die Regeln hält.” Das stimmt natürlich. Allerdings könnte man auch so formulieren: “Niemand darf einen Nachteil erleiden, der beim Anblick von Brombeeren auf einer Teepackung erwartet, dass auch hauptsächlich Brombeerpflanzen-Teile im Teebeutel liegen – und nicht irgendwas anderes… bloß keine Brombeeren.”