Der ESC soll gerechter werden

“Balkan-Connection, befreundete Länder schanzen sich die Punkte zu, gute Musik hat keine Chance – und wir bezahlen dieses Theater auch noch.” Der Eurovision Song Contest (ESC) ist bei den Fans in Deutschland in den vergangenen Jahren etwas in Verruf geraten. Sie hatten den Eindruck, dass sich befreundete Länder immer, und unabhängig von der Qualität musikalischer Darbietungen, die Punkte schenken und dadurch andere Länder wie zum Beispiel Deutschland keine Chance auf die vorderen Plätze hatten. Kritik dieser Art gab es auch in anderen Ländern. Zwar verweisen Fachleute solche Mutmaßungen ins Reich der Mythen, trotzdem soll sich ab diesem Jahr und mit der Endrunde in Belgrad was ändern beim guten alten Grand Prix.

Jedenfalls hat die European Broadcasting Union (EBU) die Regeln für den ESC ans moderne Europa angepasst, wie es EBU-Generalsekretär Svante Stockselius in einem Interview auf den Grand-Prix Seiten des NDR erläutert: “Das neue Europa verlangt das ganz offensichtlich: Es ist eben nicht wie früher, als die Geschichte des ESC begann.”

Nichts ist mehr so, wie es mal war, sondern nunmehr eine “Mischung aus Bestimmung und Zufall”. Ergebnis einer langen Analyse der Punktevergabe der vergangenen Jahre ist jedenfalls ein kompliziertes System. Die EBU hat mehrere Töpfe gebildet. Darin sind die Länder zusammengefassst, von denen man annimmt, dass sie sich mit hohen Punktzahlen gegenseitig begünstigen und so genannte Nachbarschaftswertungen abgeben.

So sind in Topf 1 Albanien, Bosnien & Herzegowina, Kroatien, Mazedonien, Montenegro sowie Slowenien zusammengefasst, in Topf 5 Armenien, Weißrussland, Georgien, Israel, Moldau, Russland und die Ukraine. Diese insgesamt sechs Töpfe sind wichtig fürs Halbfinale, oder besser: Für die beiden Halbfinale. Weil es in diesem Jahr 43 Teilnehmer sind, finden aus Zeitrgünden diesmal zwei Vorrunden statt. Aus jedem Topf wurden nun jeweils die Hälfte der Länder in die erste Halbfinalausgabe gelost, der Rest in die zweite.

Bei den beiden Vorrunden dürfen zudem nur die Zuschauer abstimmen, deren Länder teilnehmen. Auf diese Weise soll die Wahrscheinlichkeit verringert werden, dass Nachbarschaftswertungen, fernab von jeglichen ästhetischen bzw. musikalischen Kriterien dem Abstimmungsergebnis einen faden Beigeschmack verleihen. Ganz ausschließen lässt sich das aber auch mit der neuen Regel nicht.

Aus diesem Grund wird diesmal deshalb auch eine Jury die Lieder beurteilen. Ein Lied aus jedem Semifinale, das die Experten zwar gut finden, welches aber von den Zuschauern nicht gewählt wurde, kann dann trotzdem mit Hilfe dieses Jokers ins Finale rutschen.

Das klingt kompliziert und fast so kompliziert wie die Reform der EU und ihrer Institutionen, aber es geht ja schließlich auch um Europa. Ob der ESC tatsächlich gerechter* wird, kann man dann am späten Abend des 24. Mai entscheiden, wenn die letzten 12 Punkte vergeben sein werden.

*Ja, ich weiß, gerecht kann man nicht steigern. Ich mache es trotzdem

Notensalat

Im Film “Die Unheimliche Begegnung der dritten Art” versuchen Menschen, mit friedlichen Außerirdischen Kontakt aufzunehmen. Unter anderem mit ein paar unglaublich beschwichtigend klingenden Heimorgelklängen, die angeblich H-E-L-L-O bedeuten sollen. So ähnlich klingt es (kohlhof.de in Noten verwandelt), wenn man “kohlhof.de” in den Text-in-Musik-Generator eingibt. Nach irgendwelchen streng geheimen Ritualen verwandelt die Internetseite Buchstabensalat in Notensalat. Das klingt nicht automatisch gut, aber man weiß ja nie, wann man so etwas mal braucht.

via Fontblog

Von wegen “the one”

Aus der lange vernachlässigten Rubrik “Akustik des Tages” heute mal wieder eine Musik-Empfehlung: Ein Song, von dem man annehmen kann, dass er “the one” heißt. Stimmt aber nicht! Der Titel des Titels ist “Dakota”, vorgetraen von den “Stereophonics“. Schönes Tempo, schöner Sound, gute Musik, nicht ganz so Britpop-lastig.

Das erklärt einiges…

“Achtung, Achtung! Wir haben Ihnen davon Mitteilung zu machen, dass … ” heute vor 84 Jahren zum ersten Mal in Deutschland eine Erlaubnis erteilt wurde , ein Radio betreiben zu dürfen. Die “Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Rundfunkempfangsstelle des Reichspostministeriums” erging am 31. Oktober 1923 an Wilhelm Kollhoff in Berlin. Dieser Name, dieser Klang! Diese verblüffende Ähnlichkeit der Schreibweise. Also, nee. Damit ist bewiesen: Die Kohlhofs und Kollhoffs und Radio – das ist eine ganz besondere Beziehung. Kleine Unterschiede in der Schreibweise sind da doch zu vernachlässigen.

Herr Kollhoff aus der Turmstraße in Berlin zahlte für die Genehmigung Nummer 1 übrigens 350 Milliarden Reichsmark. Wirtschaftlich liefs eben damals nicht so richtig…

Was er zu hören bekam, war wohl unter anderem dies hier (Real-Audio-Format).

Marianne, Udo und dann Jim

Jetzt geht es um meinen Arbeitgeber, ich bin also voreingenommen. Allerdings offenbart ein Blick auf die Playlist vom Ende der vergangenen Stunde doch eine überraschende Bandbreite, die viele von einer Landeswelle so wohl nicht erwarten:

Ausschnitt Playlist NDR1 Radio MV: Marianne Rosenberg und The Doors

Erst Marianne Rosenberg, wenig später Udo Jürgens und dann Jim Morrison mit Kollegen… das ist doch mal was. “Light My Fire” ist inzwischen 40 Jahre alt.

Von wegen, alles Roger…

Ach, der Grand Prix. Was soll man noch sagen. Die 52. Ausgabe des Eurovision Song Contests hat eine Serbin gewonnen – weil ihr Vortrag wirklich gut war. Das spiegelt sich auch in der Punktevergabe wider. Für Marija Serifovic gab es nicht nur aus benachbarten und historisch bedingt befreundeten Ländern viele Punkte, sondern auch aus West- und Nordeuropa.
Aber dann: Die Ukraine holte sich mit Travestie und Wortfetzenklamauk Platz 2, Russland schickte ein zusammengecastetes Mädchentrio nach Helsinki und somit auf Platz drei in der Gunst derjenigen Europäer, die per Telefon mit abgestimmt haben.
Roger Cicero landete mit “Frauen regier’n die Welt” auf Platz 19 mit 49 Punkten.
Zusammengefasst hatten die Final-Beiträge aus allen Ecken des Kontinents ein gutes Niveau (von Ausreißern wie Großbritannien und Irland mal abgesehen). Rein nach musikalischen Gesichtspunkten hätte die Abstimmung auch eine ganz andere Reihenfolge ergeben können. Zufall, dass dies nicht passiert ist? Wohl nicht.
Auch im Jahr 2007 zeigte sich, dass der weltgrößte Musikwettbewerb ein strukturelles Problem hat.
Von den 42 Nationen, die mit abgestimmt haben, sind 20 zum ehemaligen sogenannten “Ostblock” zu rechnen. Höchstpunkte an benachbarte Nationen sind dort eher die Regel als unter Westeuropäern. Unabhängig, wie viele Einwohner jedes Land hat oder Teilnehmer bei der Abstimmung mitmachen: Jeder kann dem beliebtesten Song 12 Punkte geben.
Ergebnis in diesem Jahr: Die 16 ersten Plätze teilen sich Ost- und Südosteuropäer und die Türkei.
Natürlich entscheiden die Menschen dort nicht ausschließlich nach politischen und/oder historischen Gesichtspunkten, stellt sich aber die Frage, ob der Song Contest unter dieser Dominanz leidet. Viele Fans in Deutschland, Finnland und anderswo wüften das als ungerecht empfinden.
Allerdings darf hier auch der Hinweis nicht fehlen, dass die Abstimmung nur in Ansätzen demokratisch und schon gar nicht repräsentativ ist: Nur, wer bereit ist, Geld auszugeben, darf mit entschheiden, dass dann aber auch so oft, wie er möchte. Außerdem ist noch nicht klar, wie groß der Marktanteil der Show in Europa war.
Oder aber – auch das ist natürlich möglich – das Abstimmungsergebnis 2007 ist der Beweis dafür, dass in den meisten Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes derzeit mehr Musik gemacht wird, die dem gesamteuropäischen Geschmack entspicht.
Trotzdem, wenn man das Abstimmungsverfahren ändern wollte: Es dürfte nicht einfach sein, eine Lösung zu finden. Vielleicht ist Musik auch etwas zu Banales, um über eine Stimmengewichtung debattieren. Aber wenn dies diskutiert wird, dann dürfte jetzt schon klar sein, dass die Debatte darum lange dauern könnte. Vielleicht müssten in die Gewichtung der Länderstimmen Werte wie “Bevölkerungsanteil in Europa”, “Höhe der Beiträge an die Eurovision”, “Anzahl der Anrufer”, “Zahl der Zuschauer”, oder was auch immer berücksichtigt werden. Ein Weg, den Effekt der gegenseitigen Verbundenheit zu mindern, wäre das aber wohl noch nicht. Abgesehen davon müssten ja auch die betroffenen Länder diese Idee noch gut finden.
Aber warum sollte es bei so einem Musik-Firlefanz einfacher sein als bei wirklich wichtigen Dingen.

“Wieder in der Spur”

Die Akustik des Tages, eine fast schon vergessene Rubrik. Aber heute gibts mal wieder einen Song zu erwähnen, er war Teil des Soundtracks für die Rückreise aus dem Westen gestern Abend:
Apoptygma Berzerk – Back on Track (Northern Lite Remix)

Was passiert

„Watch what happens“ heißt das Album, auf dem Bariton Thomas Quasthoff mit Jazzband und/oder großem Orchester – man kann es einfach so hinschreiben: – brilliert. Im Februar haben wir ihn in der Berliner Philharmonie in Haydns Schöpfung gehört. Sir Simon Rattle stand am Pult – und selbst ganz hinten, oben, unterm Dach war jedes einzelne Wort zu verstehen.
Jetzt also das Jazz-Album, produziert von Till Brönner. Sensationell. Da kann man tatsächlich sehen, was passiert, wenn Thomas Quasthoff jazzt und dazu das Deutsche Symphonie-Orchester aufspielt: Ich bekomme eine Gänsehaut, weil die CD swingt, jazzt, rockt, knallt, kracht und schmeichelt. Stimme und Instrumente jederzeit in der zueinander passenden Intensität, aufeinander abgestimmt, emotional arrangiert und mit jeder Menge Fachleuten für gute Musik eingespielt.
Das geht beim Eröffnungssong, Gershwins „There’s A Boat That’s Leavin’ Soon For New York“, los, hat bei Stevie Wonders „You And I“ einen der vielen Höhepunkte und hört eigentlich erst nach gut 53 Minuten auf, wenn der letzte Akkord von „Eins Und Eins, Das Macht Zwei“ verklingt
Es sind zumeist Swing- und Jazz-Klassiker, die Quasthoff singt: von Ellington, Rodgers & Hart, Legrand und anderen. Arrangiert haben diese Songs Alan Broadbent und Nan Schwartz.
Big-Band-Sound mit dem Beweis, dass man nicht immer bloß Klassik singen muss, nur weil man das ganz gut kann. Zumindest Thomas Quasthoff, der dem Jazz noch nie abgeneigt gewesen sein soll, kann und darf auch weiterhin jazzen.
Die Akustik des Tages ist deshalb heute: Thomas Quasthoff – The Jazz Album Watch What Happens (und daraus die Lieder 1 bis 13)

“Let’s did it!”

Diesen legendär falschen Satz bekam Stefan Gwildis eigenen Angaben zufolge bei einem Festival zu hören. Es war wohl in etwa wie eine aufmunternde Anfeuerung gemeint. Jedenfalls berichtete Stefan Gwilids das heute Abend bei seinem Konzert in Rostock – und eröffnete mit dieser Anekdote sein Konzert.
Es war ein gute Auftritt vor geschätzt 700 Zuhörern im Saal 2 der Stadthalle. Er hat die von ihm intelligent auf Deutsch gecoverten Soulklassiker gespielt, dazu eigene Nummern von seinem neuen Album “Heut ist der Tag”. Zwischen den Songs ließ sich Gwildis Zeit für kruze sakrale soulige Predigten im Stile eines Priesters, der eine Gospel-Gemeinde anfeuert. So wurden die Rostocker “Brüder und Schwestern”, aufgefordert, alle Hemmungen fahren zu lassen (“Hallelujah”) und sich bei Bedarf vollständig zu entblößen oder auch die Stühle aus den Fenstern zu schmeißen. Das alles ist nicht passiert – weil unter anderem das im Durchschnitt mindestens 40 Jahre alte Publikum in langen Stuhlreihen Platz nehmen durfte. Und da ist es – vor allem im Norden – doch eher unwahrscheinlich, dass ein Konzert im Chaos endet.
Gwildis stand mit fünf Musikern auf der Bühne, spielte mit seiner Band zwischendurch unplugged, begeisterte das Publikum aber auch mit einer Percussioneinlage auf einer Blech-Mülltonne und ganz zu Anfang mit einer fetzigen Beatbox-Nummer nur mit Stimme und Mikrofon.
Der Saal 2 mutet eher wie eine Turnhalle an – die war allerdings ausverkauft. Das Publikum ging den Umständen entsprechend mit. Die Band war rasant, soulig, hatte Groove, so dass dies ein bemerkenswertes Konzert wurde. Ihr fehlte allerdings der Bläsersatz. Besonders beachtenswert sind bei Gwildis die Texte, hintersinnig, pointiert, unterhaltsam, mit Tiefgang, wie es so schön heißt. Den größten Applaus gab es wohl bei “Lass mal ruhig den Hut auf”, der Cover-Version von “You can leave your Hat on”. Schönes Konzert, schöner Abend – auch im Sitzen.