Bruder Johannes incognito

Nachrufe auf Johannes Rau gibt es erwartungsgemäß reichlich. Seine um Ausgleich und Fairness bemühte Art und sein tiefer christlicher Glaube brachten dem SPD-Politiker den Spitznamen Bruder Johannes ein. Der achte Bundespräsident, der das Motto “Versöhnen statt spalten” zum Leitbild für sein Handeln machte, war auch für seine Anekdoten bekannt, die er zuweilen zum Besten gab. Eine davon ging so (er hat sie bei einer Fernsehaufzeichnung erzählt, der ndr hat die kurze Schilderung eben noch einmal gezeigt):

Bundespräsident Johannes Rau sitzt in einem oberbayerischen Gasthaus und lässt sich Weißwürste schmecken. Ein mit Hut samt Gamsbart zünftig gekleideter Einheimischer kommt an seinen Tisch
und fragt: “Passiert ihnen das oft, dass sie verwechselt werden mit diesem Bundespräsidenten, der auch so lange Ministerpräsident war?”

Rau: “Ja, oft!”

Der Bayer: “Ist ihnen das denn gar nicht peinlich?”

Rau: “Nein, denn ich bin es ja.”

Der Bayer will das wohl nicht glauben und klopft Rau mit einer Mischung aus Mitleid und Anerkennung auf die Schulter und sagt: “Na, sie haben ja Humor.”

WASG streitet mit sich selbst

Erst hier und dann später noch einmal habe ich bereits auf diesen Seiten über den Parteitag der WASG in Mecklenburg-Vorpommern im Januar 2006 berichtet. Ich habe die Veranstaltung mit ihrer sechs Stunden währenden Debatte dienstlich verfolgt. Einen Tag später habe ich in der Mittagsschau von ndr1 Radio MV darüber berichtet.
[audio:wasg14012006.mp3]

Das ist nun schon über eine Woche her. Die Linkspartei hatte damals bedauert, dass die WASG offenbar keine gemeinsame Wahlkampfarbeit mit ihr anstrebt. So hatten sich schließlich auch WASG-Vorstandsmitglieder am Rande ihres Parteitages geäußert. Inzwischen hat die Nordost-WASG aber ein zartes Angebot unterbreitet.

Wal-Kampagne

20 Tonnen Gewicht, 17 Meter lang – seit am vergangenen Wochenende in der Ostsee vor Wismar ein toter Finnwal entdeckt worden war, war zwar schnell klar, dass der Kadaver im deutschen Meeresmuseum in Stralsund zerlegt und untersucht werden soll. Unklar war aber, wie er dort hinkommt. Wegen Eisgangs fiel der Transport über See aus. Und dann traten die Umweltschützer von Greenpeace auf den Plan.
Greenpeace bot an, den inzwischen nach Warnemünde geschleppten Wal auf eigene Kosten aus dem Hafen von Rostock zu bergen und nach Stralsund zu transportieren. Mit einem Autokran, einen Tieflader, sechs Tauchern und zahllosen weiteren Helfern rückten die Umweltschützer am Tonnenhof an. Der erste Versuch, den Wal mit großen Laschen aus dem Wasser zu heben, scheiterte spektakulär: Der Kadaver stürzte mit lautem Getöse zurück ins Wasser.

Während das Hafenwasser über die Kaikante schwappte, wurde allmählich klar: Für Greenpeace ist die Hilfe bei der Walbergung nicht bloß eine umweltaktivistische Ehrensache, sondern vor allem ist der Kadaver auch Mittel zum Zweck. So sickerte das Gerücht durch, der Tieflader werde das Tier nicht direkt nach Stralsund bringen, sondern zunächst nach Berlin. Dort sei eine Protestaktion geplant, sagte ein Sprecher. Damit überraschte er nicht nur die Journalisten in Rostock, sondern auch den Direktor des Meeresmuseums. Der sagte später, er hätte dem Umweg über Berlin nicht zugestimmt. Greenpeace protestiert in dieser Woche weltweit gegen den Walfang, der vor allem von Japan betrieben wird. Insofern ist der tote Finnwal aus der Ostsee ein Glücksfall für die Kampagnen-Planer bei Greenpeace. Viele Walarten gelten als vom Aussterben bedroht. In der Ostsee kommen Finnwale normalerweise nicht vor. Wissenschaftler vermuten, dass sich das Jungtier auf der Suche nach Futter in die Ostsee verirrt hat, nicht genug Nahrung fand und deshalb verhungert ist.
Mein Bericht über die Bergung des Wals in der Mittagsschau bei ndr1 Radio MV um 12:24

… und so wars dann auch

Sechs Stunden Personaldebatte, aber keine Programmiskussion: Beim hier schon angekündigten Landes-Parteitag der WASG in Mecklenburg-Vorpommern bestätigte die Partei den Eindruck, den sie bislang in der Öffentlichkeit erweckt hat. Nachdem die Delegierten zunächst die Tagesordnung umkrempelten, indem sie die Vorstandswahlen vorzogen und die Diskussionen über Satzung und Wahlprogramm ganz ans Ende schoben, wählten sie schließlich eine neue Parteispitze, der ausschließlich Mitglieder angehören, die eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei ablehnen. Wenn auch die Inhalte auf dem Parteitag keine Rolle spielten, so ist auch dies ein deutliches Signal, wohin die Mehrheit der Mitglieder ihren Landesverband steuern wollen: Konfrontationskurs statt Schmusekurs.

Der Parteitag debattierte heftig, lautstark und zuweilen auch wieder persönlich, aber nicht ganz so hitzig wie erwartet. Ein Mitglied es Bundesvorstandes kritisierte den Ablauf als “schlecht vorbereitete, entpolitisierte Zeitschinderei”. Trotzdem bleibe die WASG gelassen, die Fusion mit der Linkspartei werde schon noch kommen.

Der neue Landesvorstand machte aber deutlich, man wolle sich bei eventuellen Verhandlungen von der Linkspartei nicht unterbuttern lassen, sondern auf Augenhöhe verhandeln. Von ihrer Forderung an die Linke.PDS, sich nicht auf eine neue Koalition mit der SPD im Schweriner Landtag festzulegen, will die neue Parteispitze nicht abrücken. Auch die Kritik am “neoliberalen Kurs” hielt die WASG-Spitze aufrecht.

Der Landesvorstand der Linkspartei bedauerte zwar die Beschlüsse des WASG-Parteitages, erneuerte aber das Angebot für eine Kooperation.

Wann die WASG nun über ihre politischen Konzepte debattieren wird, ist noch offen.

Linkes Spannungsfeld

Für die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit in Mecklenburg-Vorpommern ist Sonnabend, der 14. Januar 2006 ein wichtiger Tag. Es könnte schließlich sein, dass es einer ihrer letzten überhaupt wird. Und damit nicht genug: Wenn sich die WASG-Mitglieder im Nordosten nicht darauf einigen können, gemeinsam mit der Linkspartei zur Landtagswahl anzutreten, könnte das auch die Fraktion der Linkspartei im Bundestag zu Fall bringen.

Wenn es für die junge Partei ganz schlecht läuft, dann platzt auch dieser Parteitag und die WASG verschwindet in Mecklenburg-Vorpommern in der Bedeutungslosigkeit.

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E-minus

“Ein Plus verhindert” – auf diese kecke Weise möchte ich den Werbespruch eines Mobilfunkanbieters umwandeln und seine Reklamepraxis zumindest in Teilen anprangern. Grund für all den Ingrimm: Ein Popup auf einer Internetseite.

Die Umstände, was ich neulich auf www.handy-inside.de zu suchen hatte, tun hier nichts zur Sache (ich weiß es schlicht nicht mehr). Wie bei derartigen Klicki-bunti-Seiten üblich, meldete der Popup-Blocker gleich mehrere gestoppte Werbefenster. Machtlos ist der beste Blocker gegen Anzeigen, die wie eine Folie über die eigentliche Seite gelegt werden (Leser mit hoher Leidensfähigkeit dürfen gerne mal www.ostseezeitung.de aufrufen). Ein ausuferndes Anzeigenmotiv schwebt wie eine bunt schillernde Schmeißfliege im öffentlichen WC über dem Text. Irgendwo ist ein kleines “x” versteckt, auf das man klicken muss um die Werbung auszublenden.

Diese lästige Tradition hebelte eine Werbebotschaft von E-Plus auf oben verlinkter Handy-Seite aus: Es gab kein “x”. Das Fenster war blockiert, kein Text zu erkennen, nur die dunkelgrüne Mobilfunkwerbung. Nichts zu machen, was auch immer auf handy-inside zu sehen gewesen sein mag, ich konnte es nicht lesen.

Ich habe monatelang tapfer diese aufdringliche Werbung ertragen. Habe I-Love-Banner und Telekom-Gedöns tapfer und mit fatalistischem Gleichmut wegge-x-t. Die E-Plus-Anzeige war das Tröpfchen, das meine Amphore zum Überquellen brachte. Ich schrieb dem Kundenservice eine Mail.

Zuerst beglückwünschte ich das Unternehmen, dass sie es sind, die meinen Popup-Hass in wohldosierten Worten zu spüren bekommen und entschuldigte mich gleich zwischen den Zeilen für eventuell entstehende Unannehmlichkeiten. Ich schilderte das Verfahren und verabschiedete mich mit der Frage, was das denn alles bitte soll.

Eine Woche ging ins Land, eine neues Jahr brach an, da bekam ich eine Mail von E-Plus. Man bedauere aufrichtig, dass es Probleme auf der Homepage gebe, aber E-Plus stelle sein Internetangebot gerade um, und ich solle es doch später noch einmal versuchen. Schönen Dank. Sie haben nicht nur meine präzise formulierte Frage nicht verstanden, sie haben auch noch bewiesen, dass sie Kunden und solche, die es werden könnten, lieber vertrösten, als auf Probleme einzugehen. Und so hat E-Plus erfolgreich auf absehbare Zeit verhindert, dass ich auch nur einen weiteren Gedanken verschwende, eventuell deren Kunde zu werden.

Einladung nach München

Email macht vieles leichter – aber manches leider auch unerträglich. Als Besitzer, Betreiber und fleißiger Nutzer dieser wundervollen Domain kann und möchte ich der digitalen Welt folgende Geschichte nicht vorenthalten.

Seit 1998 gibt es kohlhof.de. Seit wann es kohlhof.com und andere Domains gleichen Namens mit anderen Endungen gibt, weiß ich nicht. Wie es der Zufall will, gehört zu Kohlhof.com auch ein Christian Kohlhof, der Querflöte und Gitarre spielt – und zwar in einer Band mit dem seltsamen Namen Krampussies. Es ist zu vermuten, welche Mail-Adresse eben dieser Musiker hat… richtig christian-Ätt-kohlhof-Punkt-Com.

Das weiß er, das weiß ich, nur seine Bekannten sind seit Jahren vollkommen ahnungslos und dazu in einer verhängnisvollen Weise beratungsresistent. Die ersten Einladungen per Mail zu Geburtstagen von mir vollkommen unbekannten Personen habe ich noch höflich beantwortet: Da müsse ja wohl ein lustiger Irrtum vorliegen, ich jedenfalls würde diese Einladung nicht annehmen können und wollen, da sie wohl gar nicht für mich gedacht war – und ob man am anderen Ende des Internets doch bitte auf die korrekte Adresse von privaten Mails achten könnte. Es kam keine Antwort. Stattdessen erhielt ich ein Jahr später eine Einladung, mich an den Hochzeitsvorbereitungen für irgendeinen Christoph und eine Frauke zu beteiligen. Ich lehnte wie im Jahr zuvor höflich dankend ab und wünschte viel Erfolg bei den Planungen. Es kam keine Antwort – jedenfalls nicht sofort. Wenig später wurde ich aufgefordert, endlich die Texte für die Hochzeitszeitung abzuliefern. Ich antwortete mit entschiedenem Ton, dass ich mich nicht im Stande sähe, die Hochzeitszeitungen vollkommen Fremder mit belanglosem Text vollzulaichen.

Es kam keine Antwort. Stattdessen erhielt ich eine PDF-Datei mit der Bitte, das Anzeigen-Motiv gegenzulesen, ob es denn so in den Druck gehen könnte. Eine Werbeagentur hatte versehentlich meine Adresse benutzt, obwohl sie den Entwurf doch eigentlich zum Autohaus Kohlhoff schicken wollte. Eine aufklärende Antwort von mir – und ich habe nie wieder etwas vom rührigen Fordhändler gehört oder gelesen. So gehts auch.

Die Spezies aus dem Bekanntenkreis des musizierenden Christian Kohlhof hingegen weigern sich strikt, ihr elektronisches Adressbuch auf den neuesten Stand zu bringen. Zwei Jahre lang habe ich schließlich Mails mit Hinweisen auf Hochzeiten, Geburten und andere Feste ignoriert. Doch nun reicht es. Wie jedes Jahr erhielt ich auch 2006 eine Einladung zum Neujahrs-Sektempfang. Was soll ich sagen: Ich kann mich nicht länger bitten lassen, mich verleugnen, abseits stehen, die Spaßbremse sein! Ich habe zugesagt. Ich freue mich sogar, auch wenn die Anreise von 800 Kilometern sicher einigermaßen strapaziös wird, komme ich gern. Ich habe gleich per Mail geantwortet: Ob ich denn dort übernachten könnte, wo es Parkplätze gibt und ob ich noch irgendetwas mitbringen soll. Auf eine Antwort habe ich bislang nicht erhalten – ich hab sie allerdings auch nicht erwartet.

Was soll denn das (1)?

Wer etwas auf sich hält und seine gesellschaftliche Position erfolgreich unterstreichen will, der geht in bunt beleuchtete Szene-Cafes mit beigen Plüschsesseln und harmlosen Mädchen als Bedienung. Dazu bestellt man sich einen Latte Macchiato, wenns sein muss mit Aroma, und macht ein wichtiges Gesicht. Schön, schön. Aber warum steckt im Milchschaum ein Strohhalm? Wer hat sich denn schon mal eine nahezu kochend heiße Flüssigkeit durch einen Trinkhalm eingeführt? Die Verbrennungen, die man sich dadurch an Mund und Rachen zufügt, versauen einem den Tag, ruinieren die Geschmacksknospen – und das Gesicht, das man macht, während man sich darum bemüht, sich den brennenden Schmerz nicht anmerken zu lassen, ist gewiss nicht szenetauglich. Bei diesem Anblick wird der tiefergelegte Bankkaufmann im Markenpullover am Nebentisch schon mal angewidert das Näschen rümpfen und zu seinem zart bekleideten Mäuschen sagen, dass das jetzt aber ganz doof aussieht da. Also eine Bitte an die Damen in den Cafes mit den hohen Preisen: Spart Euch den Halm im Schaum.