„Wenn wir in Lettland ,Ligo’ feiern, dann regnet es. Immer!“ Ilze hat gar nicht erst versucht, uns mit falschen Versprechungen zu locken. Wer Mitsommer in Lettland feiern wolle, müsse sich auf nasses Wetter einstellen. Und auf Musik. Und Tanz. Und Baden. Und Sauna. Und schlafen dürfe man auch nicht. Aha.
Wir* waren eingeladen, das alles im Osten, ganz im Osten, 30 Kilometer vor der Grenze zu Weißrussland zu feiern. Backstage sozusagen.
Und dort, 300 Kilometer entfernt von der jung wirkenden, pulsierenden Hauptstadt, ist alles etwas anders. In Lettland gibt es sowieso schon viel Gegend. Besonders viel Gegend mit weiten Hügeln, wilden Wiesen, grünen Wäldern und auf jedem zweiten Strommast ein Storchennest gibt es in der Region Latgale.
Vereinzelt gibt es Dörfer, vor allem aber einzelne Höfe oder Wohnhäuser, wo sich grau-verwitterte Holzhäuschen um Brunnen oder Teiche drängeln.
Hier wurden wir besonders herzlich aufgenommen, umsorgt, umkocht, umhegt – und zu Waldarbeiten herangezogen. Zu unserer Unterkunft gehört auch dieser Rentner:
Ligo ist nur ein Teil der Feierlichkeiten, nach Ligo kommt das Janis-Fest, Johannes-Fest. Namenstag für alle Letten dieses Namens, die zur Feier des Tages besonders bunte Eichenlaubkronen tragen dürfen und mit selbstgebrautem, würzigem Bier auf das Wohl aller Gäste anstoßen. „Wir haben sowieso für jeden einen Namenstag“, sagt Ilze, „es gibt sogar einen Tag für alle, die keinen eigenen Namenstag haben.“
Waldarbeiten also. Weil es bei Ligo vor allem um Mutter Natur, bunten Sommer und die Hoffnung auf eine gute Ernte geht, spielt die Dekoration eine besondere Rolle.
Mädchen flechten sich bunte Kränze aus roten, weißen, gelben und blauen Blüten ins Haar. Männer scheuen sich nicht, mit einer gigantischen, wippenden Krone aus Eichenlaub die Nacht zu durchtanzen.
Zur Dekoration der Festräume dienen Birkenzweige. Äste und Eichenlaub zu besorgen war unsere Aufgabe. Man vertraute uns also ohne Einschränkungen, denn wir wurden mit einer Axt in den Wald geschickt und kamen wenig später tatsächlich schwer beladen (und von blutrünstigen Mücken geradezu durchlöchert) wieder zurück.
Gesang, Musik auf der Freilichtbühne im nächsten Ort und Lagerfeuer am Ufer des nächsten Sees bestimmten den Ligo-Abend. Es gab viel Bier.
Am nächsten Abend wurden 40 Gäste erwartet.
Selbst wenn man kein Wort Lettisch spricht, bekommt man trotzdem mit, dass etwas Besonderes in der Luft liegt. Es reicht, für eine Minute das Radio anzuschalten. “Ligo, Ligo, Latvia, lalala” dröhnt es stimmungsvoll und schmissig in allenerdenklichen Stilen von Rock bis Ska aus den Lautsprechern. Mehr Text ist oft nicht enthalten. Ligo ist eben vor allem Musik – und nicht lange Reden.
Das Janis-Fest war eine große Sause, die sich zwischen leerstehender Scheune, die als Festsaal diente und der Sauna gegenüber abspielte.
Der schilfumrahmte Teich daneben diente dann gleich als Abkühlbecken. Der Hausherr, Ilzes Vater, hatte die Sauna rechtzeitig auf Betriebstemperatur gebracht. Im dicken schwarzen Kessel tuckerte das kochende Wasser, immer wieder zischte Aufguß um Aufguß auf den heißen Steinen drumrum. In der kleinen, feuchtheißen Butze herrschte ständiges Kommen und Gehen. Saunieren gehört zu einer Feier in Lettland ganz offensichtlich zum Standard-Programm. Man achtet dabei aber streng auf die passende Kleidung. Männer in Badehose, Frauen im Badeanzug. Nackt geht bei diesen Gelegenheiten in Lettland niemand in den Dampf. Selbst am Badesee zieht sich jeder brav in der Umkleidekabine um – und keinesfalls einfach so ohne Blickschutz am Strand. Man ist da sehr genau in Lettland…
Selbstverständlich gab es andauernd etwas zu essen. Angefangen von Schwarzbrot mit kräftigem Kümmelgeschmack über Räucherfisch, kalte Suppen mit Roter Beete und Kefir angemacht und deshalb frühlingshaft rosa, Keksen bis hin zu zünftigem Saslik, Fleischspießchen vom Grill also – die ganz Nacht.
Zwischen dieser fröhlichen Völlerei, dem Aufheizen und Abkühlen fanden wir auch immer noch Zeit zum Entspannen im beheizbaren Pool, Marke Eigenbau, Platz zu nehmen:
Dieser Metalltrog heizte das Wasser auf Wohlfühltemperatur auf, und zwar durch den eingebauten Ofen – man erkennt ihn am Schornstein. Darin sitzen, ein kühles lettisches Bier in der Hand, und über einem der Sternenhimmel des Baltikums… herrlich.
Verständigt haben wir uns weitgehend auf Englisch – die meisten Letten sprechen es sehr gut. Das ist sehr touristenfreundlich. Besucher verstehen nämlich für gewöhlich nichts vom Lettischen und können sich deshalb nur höchstens hilflos lächelnd über die vielen S amüsieren, die viele auch in Westeuropa bekannte Wörter ergänzen: Bars, Restorans. Aber woher soll man bitte wissen, dass “siers” Käse heißt und woraus ableiten, das “piens” Milch bedeutet. Bei “kefirs”, na gut, da ja. Aber “Lacplesis ir labs alus” (hier ohne die typischen Häkchen und Striche an diversen Konsonanten und Vokalen), kann man nur noch mit einheimischer Hilfe deuten: “Lacplesis ist ein gutes Bier.”
So erklärte man uns im Laufe der Feier auf Englisch, dass auch wir übers Feuer hüpfen sollten, so wie diese beiden Damen da:
Auch das gehört zum zünftigen Zelebrieren in Lettland dazu. Und auch der Verzicht auf Schlaf, wenigstens in den Nächten, in denen die Sonne über Lettland nur für eine knappe Stunde hinterm Horizont verschwindet.
Am Lagerfeuer erwartete man den nächsten Morgen:
Die Einheimischen haben bis 9 Uhr durchgehalten, wir waren um 5 Uhr einfach fertig. Man bescheinigte uns aber, dass wir recht gut durchgehalten haben.
Ach so: Und geregnet hats dann doch nicht. Perfekt.
Für Riga selbst und andere Regionen Lettlands blieb kurz nach der Ankunft und kurz vor dem Abflug kaum Zeit. Ein paar Eindrücke sollen aber nicht fehlen:
* Martin Rosenplänter und ich.
Alle Fotos habe ich gemacht.
Lettisches Radio aus Latgale zum Nachhören.
Vielen Dank an Ilze und Karlis und an alle ihre Freunde und die Familie für die schöne Zeit in Lettland!
ja und wann gibt es ein Kroatien Backstage?
Na, hoffentlich bald ;-) Dafür müsste ich natürlich neue Fotos machen. Meine sind ja schon zwei Jahre alt. Da hat sich bestimmt viel verändert …
Gerade gelesen. Alles stimmt zur 100%! Sie haben mein Land verstanden. Meine Heimat ist die schoenste. Auch Latgale, wenn auch ich ein Kurlaender bin.
Jetzt liegt bei uns tauender Schnee und es ist nicht viel uebrig gebliben von den Schoenheiten unseres Sommers Aber- es ist gut auch im Winter. Kommt wieder zu uns!