Mal angenommen, man findet nach einem Kurzurlaub die eigene Wohnung dergestalt vor, dass es nach Kotze, Schnaps und Rauch stinkt. Was kostet es wohl, die Folgen zu beseitigen? Wahrscheinlich eine ganze Menge. Jedenfalls fallen die Kosten für eine zweispaltige Zeitungsanzeige in diesem Zusammenhang wohl kaum ins Gewicht:
Verzweiflungstat entsetzter Eltern: Der Annoncen-Pranger im Lokalblättchen rechnet mit dem eigenen Nachwuchs ab.
Jan-Thomas K., über den wir nicht wissen, wie alt er ist (und ob er jetzt immer noch bei seinen Eltern wohnt), hat Mama und Papa wohl wenig Freude gemacht. Ich habe mich ja schon immer gefragt, was Mitarbeiter von Anzeigenabteilungen wohl denken, wenn Leute kommen, um Texte aufzugeben. Wie lange dauert es zum Beispiel, bis die Dame hinterm Tresen wenigstens innerlich ausrastet, wenn wieder irgendwer ne Anzeige aufgibt wie etwa: “Kaum zu glauben aber wahr, Oma Pacholke aus der Knut-Wernersen-Straße in Posemuckel wird heut’ 78 Jahr'” Das ist wohl nur mit tödlicher Routine zu ertragen. Was aber wird im Anzeigenbüro losgewesen sein, als Karin und Reiner K. dort ihr Ansinnen vortrugen? “Sie möchten eine Familienanzeige aufgeben? Hochzeit, Geburt oder ein bedauerlicher Todesfall?” Papa: “Wohl eher Letzteres!” Wie lange wird man wohl gemeinsam am Text gefeilt haben und hat die groben Schimpfwortklötze mühsam behauen und lieblos geschliffen mit einem Sandpapier aus Wut und Enttäuschung. Und das alles, damit die Anzeigentante wenig später und mit betont sachlichem Blick über ihre Goldrandbrille noch einmal zusammenfassen darf: “Ich lese dann noch einmal vor: ‘… verdrecktes, nach Erbrochenem, Alkohol und Rauch stinkendes Haus… diese jungen Leute stammen vom Schwein ab.’ Wieviele Ausrufezeichen dürfen wir denn anfügen?”
Mama und Papa K. werden die Geschäftsstelle verlassen haben mit dem Gefühl, es ihrem Sohnemann mal richtig gezeigt zu haben. Die Frage ist, ob der Junge das überhaupt schon gelesen hat. Sie hätten vielleicht lieder eine Internetseite schalten sollen – die Jugend, um mal ein Vorurteil zu bemühen, liest doch heutzutage gar nicht mehr…
Und viel mehr ist noch unklar: Wie sind die Eltern an die Namen der anderen mutmaßlichen Helfer gekommen. Durch ein knallhartes Verhör? Gibt es Video- oder Bildmaterial von dem Ereignis, das für die Geruchsbelästigung in den eigenen vier Wänden verantwortlich ist? Und vor allem: Stellen sich die Eltern damit nicht selbst mit an den Pranger? Ist ihnen in ihrer Wut klargeworden, dass sie mit der Behauptung “diese jungen Leute stammen vom Schwein ab” auch ihren eigenen Sohn mit einbeziehen? Na, und von wem stammt der ab? Genau! Was sind also Karin und Reiner K-Punkt? Und wieder mal kein guter Tag für Familie K. …
Entdeckt in Binz, leider keine Angabe, wo erschienen (die Anzeigen drumrum lassen auf Niedersachsen schließen (Steinhude, Wunstorf), aber ein Datum: Die Zeitung ist vom 7./8. Oktober.
PS: Auch ich bin aus meinem Kurzurlaub zurück – und habe meine Wohnung so vorgefunden, wie ich sie hinterlassen habe. Was ich zwischen Ab- und Anreise erlebt habe, werde ich hier gerne mitteilen. Aber jetzt gehe ich erst auf eine Party, mal sehen, ob ich dort, äh, helfen kann…