Ein Schwall aus Spänen und Splittern purzelte die Stufen hinab! Überall lagen Arme, Beine, Musikinstrumente, Zöpfe und Flügel herum. Nur ganz leise hallte der Knall des Absturzes noch nach. Dann absolute Stille. Ich saß mittendrin – begann zu heulen, jammern und greinen – in diesem Berg aus Elend, Leid und Zerstörung. Um mich herum die abgerissenen Gliedmaßen, von denen sich einige noch an Flöten, Geigen und Taktstöcke klammerten. Ich war für all das verantwortlich. Ich hatte ein ganzes Orchester auf dem Höhepunkt seiner Schaffensperiode auf dem Gewissen: Das Engelorchester meiner Mutter.
Auch jetzt, fast 30 Jahre nach dem Unglück, sind manche Spuren noch nicht vernarbt. So gibt es im inzwischen gut 80 Mitglieder zählenden Holzorchester, das jedes Jahr in der Adventszeit eine vielbewunderte Tournee in der Schrankwand meiner Eltern vollführt, einen Harfenspieler, der anscheinend nur mühsam den Arm heben kann, um Saiten zu zupfen. Auch ein Engel, der als Attraktion auf einer Sternschnuppe reitet, die vom Regalboden über dem Konzertsaal herunterhängt, klammert sich immer noch recht verkrampft wie mir scheint an sein leuchtend gelbes Gefährt. Und wer genau hinsieht, erkennt Klebestellen und Pattex-Reste an Flügeln, Ellenbogen und Violinen. Die Tatsache, dass es dieses Orchester noch gibt, ist nur dem Umstand zu verdanken, dass auch schon vor 30 Jahren die chirurgische Kunst des Engelflickens weit fortgeschritten war.
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