Vogelgesocks

“Dann sind erfahrungsgemäß auch Massen von Möwen und anderem Vogelgesocks da” – so stand es heute früh in der Übergabe. Und schon hatte ich einen schönen Start in den Tag. Die Informationen der Kollegin für meinen Frühdienst mit Berichten über Strandaufspülungen in Neuhaus bei Graal-Müritz waren wirklich unterhaltsam, vielen Dank.
Als ich das las, lief vor meinem inneren Auge sofort ein Film ab: Möwen, Blessrallen und Rotschenkel fallen wie die Rocker über den Strand her, während im frisch vom Meeresgrund hochgepumpten Pamps Krabben und Seesterne hilflos strampeln. Das Gesocks macht Müll, schreit laut, belästigt andere, ist sich selbst der nächste, fällt durch schmutziges, zerzaustes Gefieder auf und macht ein Gesicht, als gehöre ihm der Strand allein.
Ein paar Eiderenten beobachten aus gebührendem Abstand das reudige Treiben. Während sie sich wieder und wieder das Federkleid putzen, fallen Formulierungen wie “… hätten wir uns früher so nicht …” und “… wenn es eben keine Vorbilder mehr …” oder auch “… wo ist die Polizei, wenn man sie mal braucht …”
Rebellion und Generationenkonflikt am Strand von Neuhaus. Vogelgesocks. Fischbrötchen klauen sie den Touristen ja auch schon aus der Hand. Wo soll das bloß noch hinführen? Vielleicht wird es auch im Falle von randalierendem Geflügel Zeit, über einen Warnschuss-Arrest nachzudenken…

“So eine Art Idiotenplage”

Auch betont seriöse Internetangebote wie dieses kommen zuweilen nicht umhin, auf Belangloses aus aller Welt hinzuweisen. So ist es mir nicht möglich, den Beginn der fünften Jahreszeit zu vermeiden. Aus diesem Anlass übernehmen die Narren in den Rathäusern die Macht – und viele Rostocker zum Beispiel fragen sich, ob das einen nennenswerten Unterschied zu vorher bedeutet.

Ich bin ein Karnevalsmuffel, ich finde verkleiden nicht gut und ich kann über diese alkoholgeschwängerte Extase von Cowboys, Clowns und Funkenmariechen nicht lachen. Aus diesem Anlass verweise ich gern auf die meiner Meinung nach beste Büttenrede der Welt. Sie wurde noch nie gehalten, auch wenn das Internet andere Legenden verbreitet. Der Text stammt vielmehr von Oliver Kalkofe. Aber lesen Sie selbst.

Angie hat angerufen

Der Schreck, der einem in die matten Glieder fährt, wenn man in höchster Eile mit dem Wagen unterwegs ist und plötzlich taucht diese Vieh vor einem auf, ist immens:
Käfer an der Autoscheibe

Grüner Passagier: Dieser Käfer jagte mir einen Schreck ein, war aber ansonsten ein angenehmer Beifahrer.

Er ist grün, der kleine Kerl, der von irgendwo her aus dem Fond des Wagens gewagt an die Windschutzscheibe sprang. “Ey!” werde ich wohl gerufen haben. Seine ansonsten pausenlos auf und ab winkenden kleinen Fühler hielten für einen kurzen Moment inne. Aber er verstand schnell – und watschelte auf seinen sechs Füßen gemächlich aus meinem Blickfeld, bevor ich die nächste Kurve erreichte. Zwar ist er nur so groß wie ein Daumennagel, aber er weckte meine nahezu ungeteilte Aufmerksamkeit, während ich von Heiligendamm nach Rostock fuhr.
Vor allem das satte Knallgrün seines behäbig im Rhythmus der Schritte wankenden Körpers faszinierte mich. “So einer gehört in die Natur, nicht in die Großstadt”, sagte ich mir und öffnete mein Fenster einen Spalt weit. Das schien ihm zu gefallen. Er setzte sich auf die Kante des Glases, steckte die Fühler in den Fahrtwind und suchte mit seinen hinteren vier Beinchen extra festen Halt.
Wir hielten an einer Ampel. Während er sozusagen kurz vor die Tür trat und außen an der Scheibe entlang lief, konnte ich seinen tadellos grünen Bauch und seine Nadeldünnen Beinchen bewundern, die in Schnabelschuhen zu stecken scheinen. Die Beinchen grün, die Füße braun, lang und spitz.
Die Ampel sprang auf Rot-Gelb, dann auf Grün. Die Warteschlange setzte sich in Bewegung. Ich glaubte, draußen an der Scheibe eine gewisse Hektik festzustellen, denn mein sechsbeiniger Fahrgast kletterte eilig wieder zurück durch den Spalt ins Innere.
Der Halt wäre für ihn doch die Gelegenheit gewesen, abzuspringen, zurück zu Frau und Kindern zu fliegen, den gnädigen Mantel des Schweigens über seinen gewagten, hals- unf fühlerbrecherischen Ausbruch aus dem Käferalltag zu breiten und in stillen Stunden sich wissend grinsend an sein Auto-Surf-Abenteuer zu erinnern.
Aber nein. Erst in Rostock stieg er aus. In der Doberaner Straße, an der Brauerei. Ich möchte eigentlich gar nicht wissen, was der zu hören kriegt, wenn er irgendwann wieder nach Hause kommt.

Darum geht es nicht im Podcast von heute. Es geht vielmehr um Gewitter, Salz auf Brot und einen überraschenden Anruf von Angela Merkel auf meinem Handy.

Korrigiert

Selbstverständlich ist das alles bestimmt nur nett gemeint – vielleicht hat es sogar schon böse Unfälle mit gebrochenen Nasenbeinen gegeben, gefolgt von hässlichen Prozessen um Schadenersatzansprüchen und entagngenen Lustgewinn. Wer weiß das schon. Anders lässt sich die offensichtlich auf Dauer angelegte Existenz dieses notdürftig hingekritzelten Zettels aber nicht erklären:
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“Vorsicht Scheibe!” steht, mit rotem Flizstift in Großbuchstaben auf ein Blatt Papier geschmiert, an einem der Glasportale zu einem blitzenden und blinkenden Einkaufstempel.
Das Foto davon ist gut und gerne drei Monate alt. Seitdem prangt der handschriftliche Vermerk an der Glastür einer Rostocker Einkaufspassage. Sachlich ist sicherlich alles richtig (Glas ist jedenfalls definitiv vorhanden und Vorsicht grundsätzlich ja nicht schlecht – und wer beendet seinen hastigen Einkaufsbummel schon gern mit einem enegriegeladenen und folgenschweren Ausfallschritt gegen einbruchsicheres Glas), formal ist “Vorsicht Scheibe!” aber abstoßend unbeholfen.
Ich habe die Aufnahme selbst damals angefertigt und hier auch veröffentlicht – versehen mit dem Hinweis, dass es nur eines winzigen Strichs bedürfte, um aus diesem doofen Schild ein lustiges zu machen.
Nun, ganz offensichtlich war ich nicht der Einzige mit dieser Idee. Denn zwischenzeitlich hatte jemand mit einem Strich am Fuß des großen B in dem Wort Scheibe tatsächlich vor Fäkalien gewarnt. Wie lustig.
Das haben dann auch irgendwann die eigentlichen Urheber der schriftlichen Warnmeldung nicht mehr übersehen können und haben den Aushang ihrerseits wieder korrigiert.
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Und weil Papier in Rostock ja immer mal wieder knapp zu werden scheint, hat man das Papier auf ganz eigentümliche Weise recycelt, indem irgendwer vermutlich freiwillig den roten Zusatzstrich vom Zettel heruntergekratzt hat. Ja, wirklich. Es ist immer noch der alte Zettel, und irgendwer hat also mit einem scharfen Gegenstand einen roten Strich heruntergekratzt.
Warum? Es kann nur blöde Gründe dafür geben, ein sinnvoller will mir auch nach tagelangem angestrengtem Nachdenken nicht einfallen. Vielleicht kommen ja bei den Zettel-Retuschierern folgende Gründe ansatzweise mit in Betracht:

  1. Weil DinA4-Zettel rationiert sind.
  2. Weil rote Stifte dem Rotstift zum Opfer gefallen sind.
  3. Weil man sich so schön lächerlich machen kann.
  4. Weil derjenige, der für den Zettel seit Monaten verantwortlich zeichnet, nicht weiter denkt als von der Vorder- bis zur Rückseite eines durchschnittlichen Papierbogens.
  5. Weil man ja schon auch was ausdrucken könnte, mit Computer und so, aber: “Leider geht das nicht, unser Drucker kann nur Hochformat”?

Das wirft natürlich Fragen auf:

  1. Wann war zuletzt jemand vom Center-Management mit ungetrübter Wahrnehmung im Eingangsbereich der Passage unterwegs? Dieses Jahr schon?
  2. Wollen die vielleicht mit Zetteln wie diesen von leerstehenden Verkaufsflächen im Erdgeschoss ablenken?
  3. Ist man dort der Meinung, dass es sich nicht mehr lohnt, in ein neues DinA4-Blatt zu investieren, weil der Laden in der zweiten Jahreshälfte sowieso umgebaut werden soll?
  4. Haben die eigentlich keinen Respekt vor Kunden?
  5. Wäre es nicht möglich gewesen, einfach nur ein Blatt mit dem Emblem der Passage aufzuhängen, anstelle der Baumschulenformulierung “Vorsicht Scheibe!”? So wie die schwarzen Krähensilhouetten an jeder mittelmäßigen verdammten Schwimmhallenfensterscheibe zwischen Hammerfest und Taschkent? Irgendetwas annähernd Stilsicheres und Angemessenes vielleicht?

Die Antworten – davon kann man angesichts dieser vielschichtigen Tragödie wohl ausgehen – würden wohl bei jeder Frage jeweils irgendetwas Negatives beinhalten und auf Unvermögen und Überforderung schließen lassen.
Ich weiß, es wird nichts ändern, aber ich würde gern einen zweiten Zettel dort anbringen. Diesen hier: “Vorsicht, doofe Zettel!”
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Der Zettel als PDF zum Ausdrucken
Ach, was rege ich mich eigentlich auf…

Lektion für Wolfgang

Die Begrüßung war jeweils herzlich, aber leider falsch: „Hallo, Christoph“ schleuderte mir der Kollege von der schreibenden Zunft jedes Mal entgegen, wenn wir uns trafen. „Moin, Christoph“ oder „Na, Christoph“. Ich habe das zunächst freundlich und gutmütig überhört. Vielleicht sehe ich ja aus wie irgendein ein Christoph. Nun gut.
Es zeichneten sich bei den Begrüßungen im Laufe der dahinziehenden Monate allerdings keine entscheidende Veränderung ab. Für den guten Mann – er selbst heißt Wolfgang – blieb ich Christoph. Obwohl ich zunächst für mich und im Stillen murmelte und später auch laut einwarf, dass ich ja nun seit geraumer Zeit Christian heiße. Eigentlich schon immer. Christian eben. Sieht zwar ähnlich aus und klingt auch beim flüchtigen Hinhören fast ein bisschen wie Christoph, aber es ist eben doch was ganz anderes. Ich sagte also: „Aber, aber. Ich heiße doch Christian!“
Mein Gegenüber bedauerte aufrichtig und zutiefst – regelmäßig. Und immer wieder.
Gesten war wieder eine Gelegenheit, mich Christoph zu nennen. Wir trafen uns auf einer Pressekonferenz. Aber diesmal war ich vorbereitet. Ich hatte beschlossen, diesen Wolfgang mit seinen eigenen Waffen zu schlagen.
Ich hatte mich kaum gesetzt, als Wolfgang sich zu mir rüberbeugte und „Na, Christoph, alles klar?“ raunte. Das war mein Stichwort: „Klar, Werner! Und bei dir so, … Werner?“ Wolfgang stutzte und entschuldigte sich wie üblich.
Heute traf ich ihn wieder. In der Fußgängerzone. „Mensch, Christian!“ sagte er und betonte jede einzelne Silbe. Problem gelöst. Aber das ist auch wieder schade. Ich hatte mir schon so schöne Namen für die weiteren Lektionen ausgesucht: Wotan, Wendelin, Winston, Wolfhard oder auch Woody.

Zweiter Platz für kohlhof.de

Wer zu einem Poetry-Slam geht, darf alles erwarten, sollte aber auch mit allem rechnen. So ein Poetry-Slam, das ist ein Autoren-Wettstreit vor Publikum. Jeder, der will, setzt sich auf eine Bühne, trägt was vor und am Ende stimmen die Zuhörer ab, wer die besten Texte geschrieben hat. Gestern Abend war das Publikum im Ursprung in Rostock der Meinung, dass auch auf kohlhof.de ganz gute Texte zu finden sind. Ich habe beim Poetry-Slam der Rostocker Kulturwoche den zweiten Platz belegt.
Sieger wurde ein junger Mann, der geniale Gedichte vorgetragen hat. Besonders bemerkenswert: Ein Text bestand nur aus Satz- und Sonderzeichen auf der Computertastatur. So in etwa: “Komma, komma Tilde, mal mal Anführungszeichen…” Das Werk passt nach Angaben des Verfassers auf zwei Druckzeilen. Er hat versprochen, mir eine Kopie zu mailen.
Der dritte Platz ging an einen noch viel jüngeren Mann, der ein kurzes Liebeskummer-Gedicht vortrug – aus dem Gedächtnis. Letzte Strophe sinngemäß: “Wenn ich dann in die Augen eines anderen Mädchens blicke, dann werde ich für einen kurzen Moment bemerken, dass ich Dich vergessen hab.” Dabei kippte fast seine Stimme – und wohl wegen dieser Authentizität wählten ihn die über 120 Zuhörer auf Platz drei.
Ich habe keine Gedichte vorgetragen, sondern drei Glossen von dieser Seite. Und zwar “Botschaft von Piefke“, “Humorlose Feuerwehr” und “Fremdgegessen“.
Weitere Texte dieser Art findet man hier, wenn man oben in der Tag-Wolke auf Begriffe wie “glosse” oder “skurril“.
Vielen Dank allen Wählern, die mir mit ihrer Stimme nicht nur eine schicke Urkunde, sondern auch ein Büchlein von Molière beschert haben.

Botschaft von Piefke

Oster-Souvenir aus Lübeck: “Wie ein Steuerberater sehen Sie NICHT aus. Gruß!” Diese Brocken klemmten, hastig hingekritzelt, auf einem lieblos zerfransten Schnipsel Papier an meinem Scheibenwischer. Ich vermute, die Botschaft ist das Produkt eines Feiertags-Wochenendes, das für den unbekannten Verfasser ungewöhnlich arm an sonstigen Höhepunkten war. Aber dann passierte doch noch etwas, was in der kleinen Welt hinter hastig zugezogenen Häkelgardinen nicht sein darf und deshalb für hektische Flecken im Gesicht sorgt: Mein Auto stand auf dem Parkplatz eines Steuerberater-Büros.
Tatsächlich weist ein ordentliches Schild am Stellplatz vorm Haus darauf hin, wessen Wagen hier parken darf: Das Auto einer Mitarbeiterin im Steuerberater-Büro im selben Block. In der Woche jedenfalls. Aber auch ich parke dort immer, wenn ich am Wochenende dem Westen einen Besuch abstatte. Die gute Frau, die zu dem Steuerberater-Schild gehört und den Platz gemietet hat, weiß das. Sie hats erlaubt. Seit bestimmt sieben Jahren schon. Sie benötigt den Stellplatz am Wochenennde nämlich nicht.
Nun gut, dass kann der Langweiler-Piefke mit den kleinen Zetteln natürlich nicht wissen. Wenn Rostocker Autos auf Lübecker Privatplätzen rumoxidieren, da muss man doch einschreiten. Oder soll das immer so weiter gehen? Wo kämen wir denn da hin, wenn sich keiner mehr um die ordnungsgemäße Zuteilung von Parkplätzen kümmern würde? Erst stellen sie unsere Parkplätze voll, ‘ne Woche später zieht einer von denen bei uns ein – und eröffnet unter falschen Angaben ein Steuerberater-Büro.
Womit wir beim zweiten wesentlichen Punkt wären. Woran genau lässt sich an meinem Äußeren ablesen, dass ich definitiv nicht Steuerberater bin? Ich habe zwei Beine, gehe aufrecht, wasche und kämme mich täglich, ich trage sogar eine Brille, halte meine Kleidung in Ordnung und spucke nicht auf die Straße. Ich erfülle also die Grundvorraussetzungen, auch für einen Steuerberater gehalten zu werden.
Nur zu gern hätte ich mit dem Absender darüber diskutiert. Ich hätte ihm auch ein gutes Buch empfohlen oder aus einer TV-Zeitschrit ein paar spannende Sendungen herausgesucht. Damit kann man sich stundenlang beschäftigen ohne in gebückter Haltung durch die Miefvorhänge des eigenen Wohnzimmers auf betonierte Freiflächen blinzeln zu müssen.
Leider zog es der Verfasser vor, anonym zu bleiben. Wir werden also weiter vermittels kleiner Kassiber kommunizieren müssen. Ich habe meinen Zettel schon vorbereitet, den ich demnächst in Lübeck auf meinem Armaturenbrett auslegen werde. Meine Antwort an den Piefke wird in etwa lauten: “… und Sie sehen aus, als hätten Sie keine Ahnung! Gehen Sie weg! Gruß!”

Geschenkauswahl für Timmi

Niklas Schult wird bald 7 Jahre alt – und was er zum Geburtstag bekommen soll, das kann sich jetzt schon jeder bei Karstadt in Lübeck angucken. Niklas hat dort nämlich einen Geschenketisch. So wie ganz viele andere Kinder auch. Chantal zum Beispiel. Wer ihr zum fünften Geburtstag eine Freude machen will, kann aus diversen rosa Playmobil-Packungen wählen. Auf Niklas’ Tisch fällt vor allem das Gesellschaftsspiel über die „Wilden Kerle“ auf, daneben liegen eine Gummi-Kuh und ein Gummi-Hai – so etwas kann man ja schließlich immer gebrauchen. Johanne wiederum wird in ein paar Tagen wohl auch die eine oder andere Dose Klein-Mädchen-Deodorant auspacken. „Hoch soll’n sie leben“.
Geschenketische in Kaufhäusern haben eine lange Tradition und hohen Nutzwert. Jedes Hochzeitspaar lässt schließlich irgendwo im Keller Dinge verrotten, die andere ihm zur Vermählung überreicht haben. Meistens handelt es sich dabei um Gegenstände, die das junge Paar entweder für ästhetisch fragwürdig, unpraktisch oder schlicht überflüssig hält, weil es davon gleich mehrere Exemplare bekommen hat.
Kratzige Handtücher, schwere Kristall-Schalen, quietschbunte Sofakissen zum Beispiel. Um familiäre Verstimmungen und peinliches Herumdrucksen nach bohrenden Fragen zum Verbleib von Kristallschalen und Haushaltswaren von Anfang an zu verhindern, haben Warenhaus-Chefs Geschenketische erfunden. Wobei „Tisch“ oft untertrieben ist: Auf kleinen Anrichten steht höchstens eine überschaubare Auswahl. Zum Beispiel von dem Porzellan, mit dessen Hilfe das junge Glück sich fürderhin täglich zu laben gedenkt. Daneben ein bisschen Literatur in dicken Ledereinbänden, vielleicht auch noch das eine oder andere technische Gimmick. Dies alles ist oft nicht ganz billig und außerdem wie der ganze Rest in einer langen Liste verzeichnet. Darin können Tante Lisbeth sowie Ruth und die Zwillinge – oder wie die Hochzeitsgäste alle genannt werden – eintragen, was sie so herzlich gern und aus freien Stücken dem Brautpaar schenken möchten. Das ist eigentlich ganz praktisch. Dieser Aufwand scheint dem Anlass eines auf Lebensdauer angelegten Ja-Wortes aber auch angemessen.
Welchen tieferen Nutzen Geschenketische allerdings bei Geburtstagen von Kindern im Vorschulalter haben, will sich einem nicht so recht erschließen. Wie laufen Geburtstagsfeiern von Buben und Mädchen ab, die von ihren Eltern gezwungen werden, eine Liste mit heiß begehrtem Spielzeug auszuarbeiten – und das auch noch vier Wochen vor der Feier. Ganz nebenbei: Was tun Eltern in den 28 Tagen nach Veröffentlichung der Liste bis zum Fest, um die Spannung, Ungeduld und Aufregung beim Nachwuchs auf einem für alle Seiten erträglichen Level zu halten?
Wie sieht die Einladung aus, wer bekommt überhaupt eine? „Johannes nicht, seine Eltern können nicht so gut mit der Klassenlehrerin von Anne. Nein, Timmi, keine Diskussion! Das geht nicht! Was sollen die Leute denken?!“
Wer druckt die Einladung, was schreibt man? „Annedore Pütz-Klöpfer und Gerd Klöpfer geben mit großer Freude bekannt, dass ihr Sohn Timm-Morten am drölfzigsten Septober 5 Jahre alt wird. Wir laden zum Geburtstagsbrunch ab 11 Uhr (dunkler Anzug, Smoking), u. A. w. g. bis nulften Jorz unter booking@timmi-wird-fuenf.de. Wer unserem Sohn eine Freude machen will, findet bei Karstadt einen Geschenketisch. Für Gäste von Außerhalb haben wir im Berliner Hof Suiten reserviert.“
In den Schulen dieses Landes kämpfen derweil täglich Lehrer rührselig gegen das Ego von überzüchteten Ausgeburten, Typ Froop-Mädchen und Schnappi-Kind. Deren überdrehte Attitüden werden durch Eltern, die Geschenketische für Fünfjährige für eine gute Idee halten, noch befeuert. Dabei können die lieben Kleinen noch nicht einmal das Wort Wunschzettel einigermaßen platzsparend zu Papier bringen, so dass auch Außenstehende das Gekrakel entziffern können; sie dürfen aber schon bestimmen, was andere ihnen zu geben haben.
Wir stellen uns vor, was an der mit Blumenarragements ausgestalteten, von livrierten Kellnern bestellten Festtafel passiert, wenn dem Junior am Kopfende des Tisches die Gesichtszüge entgleiten, weil er soeben ein Päckchen auswickeln musste, dessen Inhalt nicht vom Geschenketisch stammt. Wird dann im Hintergund hektisch telefoniert? „Holen Sie sofort ihren Sohn hier ab. Und sein selbstgemaltes Geburtstagsbild kann er auch gleich wieder mitnehmen!“ Wird dann das Protokoll hektisch umgestrickt, um die brodelnde Geburtstagsgesellschaft zu beruhigen? „Schicken sie sofort den Clown rein. Ist mir egal, ob der sich noch schminken muss. Da drinnen ist die Hölle los. Hier läuft alles aus dem Ruder. Der soll seine scheiß Riesenlatschen anziehen und seinen fetten Clowns-Hintern ins Esszimmer schwingen, sonst eskaliert hier alles.“
Dort im Esszimmer wird es inzwischen brenzlig für den armen Tropf, der das unheilvolle Geschenk mitgebracht hat. Böse Worte vom „Arme-Leute-Kind“ machen wispernd in der Geburtstagsgesellschaft die Runde. Das mit besten Absichten beschaffte und teuer bezahlte Kästchen mit Lego-Steinen liegt als Beweisstück A zwischen Kokos-Mango-Trüffeln und Cacaoccino-Gläsern auf der Festtafel. „Lego! Legolego!“ wiederholt der Beschenkte anklagend und mit abwehrender Armbewegung, während der Überbringer mit dünner Stimme „Aber! Aberaber!“ jammert und etwas von einem selbst gemalten Bild stammelt. Die Kellner wuseln geschäftig aber ratlos umher. Zum ersten Mal fällt ein Trinkbecher vom Tisch und zerbirst auf dem grauen Granitboden. In diesem Moment denkt der Caterer in der Küche zum ersten Mal ernsthaft darüber nach, ob es angebracht wäre, die gerade angerichtete Gumminbärchenbowle mit einem kräftigen Schuss Schampus zu versehen, um die grollende Rasselbande nachhaltig ruhig zu stellen und weiteren Tumult im Keim zu ersticken. Auftritt Clown. Mit einem beherzten „Humptata-täterräää“ betritt der Alleinunterhalter die Szene durch die Durchgangstür zum Wohnzimmer. Für einen Moment herrscht spannungsgeladene Ruhe, Bewegungen erstarren. Dann: „Ich wollte aber einen Zauberääähääähäää!“ Die letzten Silben gehen im Gegluckse und Geschlucke aus Tränen unter. Die miese Stimmung breitet sich wie ein Seuche aus. Überall Tränen, überall Geschrei. Die Party ist gekippt.
Während die Großeltern gerade vom eigens arrangierten Erwachsenen-Programm aus der Kunsthalle zurückkehren, verfrachten die ersten Mütter schon ihre verstörten Kinder in Vans und Geländewagen. Kaum jemand redet ein Wort. Väter tauschen Visitenkarten und die Nummern ihrer Anwälte. Motoren heulen auf, der Kies in der Einfahrt klackert gequält, hinten an der Straße quietschen Reifen unter rasanter Beschleunigung. Beim hastigen Aufbruch bleiben Strellson-Kindermäntel, Boss-Pullover und Oakley-Mädchen-Brillen zurück.
In Momenten wie diesen wird Eltern wie Annedore Pütz-Klöpfer und Gerd Klöpfer klar,dass sie etwas falsch gemacht haben. „Zur Einschulung machen wir das anders. Da schreiben wir in die Einladung lieber ‘Statt freundlich zugedachter Geschenke bitten wir um eine Spende an eine caritative Einrichtung’“, wird Mutter sagen, und Vater wird natürlich beipflichten: „Schöne Idee, wie wäre es mit Unicef?!“
Ja. Ganz tolle Idee.